Ha! Was für eine Fragestellung. Wer hat sich die denn ausgedacht. Die meisten würden sich wohl weniger trauen, so eine Unverschämtheit zu fragen. Ist aber gar keine für mich und wäre auch nicht weiter wild das zu fragen. Depressive sind keine rohen Eier, wenn sie sich nicht in einer schlechten Phase befinden. Und selbst da würden sie es euch nicht wissen lassen.
Das Schöne an der Antwort ist, dass sie nur für mich speziell gilt und mir die Hälfte eh nicht glaubt. Außerdem zögere ich im direkten Gespräch in der Regel, sowas von mir zu geben. Geschrieben kriegt es ja keiner mit, gell?
Das Blöde ist, dass es da draußen viele gibt, die das bisher nicht wussten. Aber jeder von uns hat ja so sein Paket zu tragen.
Feine Antennen
Ja, es stimmt. Depressive haben meistens feine Antennen für die Gefühlszustände anderer Menschen. Das hängt meines Erachtens mit zwei Dingen zusammen, dem Ei und der Henne. Entscheidet selbst, ob und wie das stimmt.
Der erste Grund dürfte sein, dass Menschen mit Empathie eher anfällig für seelische Störungen sind. Sie sind oft empfindsamer und damit werden sie leichter durch Traumata und Anfeindungen beschädigt. Addiere dazu eine geringere Resilienz, als bei einem durchschnittlichen Menschen und du hast einen guten Nährboden.
Man darf nicht außen vor lassen, dass in schlechten Phasen die Empathie eines Depressiven gehörig nachlassen kann. Bei mir ist das oft so. Ich bin zu sehr mit mir selbst beschäftigt, gereizt, abgelenkt oder einfach stumpf. Es gibt sicherlich Depressive, die von Natur aus nicht besonders mit Empathie gesegnet sind. Es gibt eben nicht die Depression und den Depressiven.
Grundsätzlich habe ich selbst meine Antennen besonders geübt, denn nur dadurch ist es mir in komplexen zwischenmenschlichen Situationen möglich, Tretminen für mich aus dem Weg zu gehen. Es erleichtert mir den Umgang mit anderen Menschen, was diese mir gewogener macht, so dass ich weniger zu befürchten habe. Das klingt rational und berechnend, aber ich mache da schon Unterschiede von Freunden und Bekannten. Solange ich das nicht manipulativ verwende, habe ich da keine Gewissensbisse. Ich kann, nicht dass mir jemand falsche Bescheidenheit unterstellen will. Aber durch meine eigenen Erfahrungen begrenze ich Manipulationen auf das Allernötigste.
Lügendetektor, Paul Ekman, Lie to me
Oh je. Normalerweise erzähle ich das nicht. Es gibt weniger als eine Handvoll Menschen, die das wissen und bezeugen können. Willkommen im innersten Kreis.
Ich bin extrem gut darin Lügner zu erkennen. Ich betrachte Menschen seit meiner Kindheit mit den neugierigsten aller Augen. Seit meiner Diagnose verstehe ich wieso. Ich musste schon immer wissen, was in anderen vorgeht, um mich auf den Umgang mit ihnen vorzubereiten. Als Abwehrmechanismus ist diese Fertigkeit unwahrscheinlich hilfreich.
Jeder von uns lügt, jeden Tag. Das ist normal und macht rein gar nichts. Wir schützen uns, andere und manchmal wollen wir einfach nicht die Wahrheit sagen. Aber es gibt Menschen, die notorisch lügen, oder aus Boshaftigkeit, zum eigenen Vorteil und um andere klein zu halten. Es war für mich in meiner Kindheit und Jugend überlebenswichtig zu wissen, mit wem genau ich es wann zu tun hatte. An anderer Stelle habe ich darüber geschrieben, dass ich oft „Freunde“ hatte, die mich gedemütigt haben. Nach den ersten Erfahrungen und als die Erkenntnis dämmerte, dass solche Menschen gefährlich für mich sind, wollte ich sie unbedingt erkennen und aussieben können.
Ich habe früh damit begonnen Menschen zu studieren, ich tue es bis heute. Ich sage gelegentlich, dass es für mich nichts Unmenschliches gibt. Ich meine das aber nur wortwörtlich. Nichts ist unmenschlich, denn es wird ja immer von Menschen gemacht und begangen. Ich habe Äußerungen von anderen seziert, genau zugesehen, zugehört, mich informiert, beobachtet und analysiert. Dadurch kann ich feine Menschen zu meinem Freundeskreis zählen. Die Leute, die gemeint sind, werden instinktiv verstehen, dass ich sie dazu zähle.
Ich will nicht ins Detail gehen, aber als ich „Lie to me“ zum ersten Mal sah, musste ich oft lachen. Der Charakter Cal Lightman ist indiskutabel, aber die Erkenntnisse aus Paul Ekmans Forschung sind recht gut umgesetzt und erklärt. Ich habe mich oft dabei ertappt zu nicken und zu verifizieren, dass Ekmans Forschung durchaus korrekt ist. Wie anmaßend, der Mann hat Jahrzehnte wissenschaftlich dazu geforscht. Dennoch, meine Kenntnisse und Fähigkeiten, die ich mir angeeignet habe, sind vergleichbar.
Für mich ist das kein Taschenspielertrick. Für mich ist das ein Werkzeug zur Sicherheit. Deswegen spiele ich damit nicht leichtsinnig rum. Nur weil man erkennt, wie sich jemand fühlt, wann er lügt und was seine wesentlichen Charaktermerkmale sind, spricht man das keinesfalls andauernd an.
Die Kehrseite meiner Befähigung, z.B. Lügen zu erkennen, ist, dass ich selbst weiß, wie man effektiv lügt. Ich weiß, wie man Emotionen vorspielt, wie man besonders wirksam seine Körpersprache benutzt und derlei mehr. Ich betrachte das als einen unschätzbaren Vorteil, den ich mir hart über fast drei Jahrzehnte erarbeitet habe.
So schön dieser Vorteil aber auch ist, er hilft nicht dabei, das Selbstbild zu stärken oder die eigenen Fähigkeiten anzupreisen. Er hilft nicht dabei, die Depression auszuhebeln. Ich kann mit nahezu 100% Fremde einschätzen, die nicht wissen, wozu ich in der Lage bin. Bei Freunden oder Leuten, die mir nahestehen, liege ich zwischen etwa 80 – 98 %, je nach emotionaler Beziehung. Und wenn ich in einer schlechten Phase bin, dann sinkt meine Trefferquote deutlich ab. Es braucht niemand Sorgen zu haben – wenn er mich in einer schlechten Phase erwischt ist er vermutlich sicher …