Ein wunderschönes Thema für alle Depressiven. Hier dürften die Meinungen genauso auseinandergehen, wie die Krankheitsbilder selbst. Ich verliere ein paar Allgemeinplätze zu Medikamenten und schildere dir dann, wie meine persönlichen Erfahrungen mit Medikamenten aussehen. Ich bin womöglich nicht repräsentativ, was meinen Wissensstand betrifft, aber sicher, was meine Erfahrungen betrifft. Denn es scheint mir so, dass fast alle von uns dieselbe grundsätzliche Erfahrung machen.
Allgemein sei gesagt, dass es an sich keine dumme Idee ist mit Medikamenten zu arbeiten. Immerhin haben wir es bei der Depression vermutlich mit einem chemischen Problem im Gehirn zu tun, möglicherweise im Zusammenhang mit Entzündungen und anderen Schauplätzen des Körpers (Darm). Wo ein hoher organischer Anteil mitspielt, ist der Griff zu einem Medikament logisch. Es gibt für depressive verschiedene Mittel, die sich in der Wirkungsweise unterscheiden. In jeder dieser Kategorien gibt es dann wieder dutzende von unterschiedlichen Mitteln – ursprünglich sind davon nicht alle zur Bekämpfung einer Depression entwickelt worden, aber nun zweckentfremdet.
Citalopram und MHKWSNKDMWBLDR
Antidepressiva sind Psychopharmaka – schon der Name deutet auf die Wirkung auf die Psyche hin. Und genau das tun die kleinen lustigen Helferlein auch. Zuerst wären da die trizyklischen Antidepressiva, die man nach neueren Erkenntnissen inzwischen wiederum in verschiedene Unterarten aufteilt. Die Dinger habe ich nicht genommen, kann euch daher keine Erfahrungen aus erster Hand geben. Manche stehen im Verdacht, Krebs zu erregen. Tut Fleisch ja inzwischen auch. Und zu lange frittierte Pommes. Und Rauchen. Und überhaupt.
Dann haben wir da die selektiven Wiederaufnahmehemmer. Aus dieser Kategorie hatte ich zum Beispiel Citalopram und kann zu diesem speziellen Mittel etwas beitragen. Das Zeug ist spezifisch ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI nach englischer Bezeichnung). Es gibt da noch Dopamin und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, und für die ganz harten Kombinationen aus Serotonin und Noradrenalin, sowie Noradrenalin und Dopamin. (SNARI/SNRI/DRI/DARI/SSNRI/SNDRI) Abkürzungen rocken und helfen ungemein bei der Übersicht.
Schließlich kann man auf Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer/MAOI/RIMA) zurückgreifen, oder auf Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA), oder auf Serotonin-Antagonist-und-Wiederaufnahmehemmer (SARI), oder auf Glutamerge Modulation, oder auf Serotonin-(5-HT2)-Antagonist und Melatonin-(MT1- und MT2)-Agonist, oder im Akutfall kurzfristig auf Ketamin zurückgreifen. Danke, Wikipedia.
Gibt noch was, was ich genommen habe und da habe ich meine eigene Abkürzung gefunden. Hochtrabend Phytopharmaka handelt es sich um sogenanntes echtes Johanniskraut. Das ist zwar in qualitativen Studien keinem Placebo überlegen, soll aber bei leichten Depressionen helfen können. Hier ist ganz wichtig zu beachten, dass du das Zeug vom Netto aus dem Kopf lassen solltest. Das ist nicht hoch genug dosiert, um irgendwas zu bewirken. Genauso gut könntest du beliebige Globuli gegen Kopfschmerzen/Krebs/Aids oder Juckreiz nehmen. Oder Süßstofftabletten. Wenn du das probieren willst, geh doch bitte in eine Apotheke. Meine Abkürzung für das Zeug ist LILALU. Oder Möchtegern-Homöopathisches Kraut, was sich nur knapp durch minimale Wirksamkeit bei leichter Depression rausredet. Siehst du, kann ich auch.
Was hast du jetzt genommen und wie geil war es?
Ja. Citalopram habe ich genommen, nachdem ich bei Johanniskraut absolut Null Effekt hatte und depressiver wurde, weil da nix passierte.
Das echte Medikament hingegen hatte eine Wirkung. Ich habe eine leichte Stimmungsaufhellung erfahren. Das ist für einen Depressiven wie mich ein interessantes Gefühl, eine faszinierende Beobachtung. Ich fühlte mich phasenweise direkt…. Gut. Woohooo – hoch die Tassen! Das ist doch total super!
Ja. Ne. Nicht direkt. Also schon… wenn da nicht die Nebenwirkungen wären. Ich habe die Dinger genommen und hatte plötzlich einen ungekannten Appetit, obwohl ich keinen erhöhten Bedarf gehabt hätte. Ist nicht schwer zu erraten, dass ich enorm zugelegt habe. Tat meinem schon schwer angeschlagenem Selbstwertgefühl alles andere als gut. Zudem war ich in der Zeit der Einnahme von Citalopram so erschöpft und müde, wie nie zuvor. Ich empfand mich als regelrechten Zombie, der mehr Mühe hatte Dinge zu erledigen, als in den handlungsunfähigen Zwischenphasen meiner Krankheit. Das war schlimm. Auf der anderen Seite habe ich zu dieser Zeit mehr geschlafen, als möglich sein sollte. Meine Tage bestanden manchmal aus weniger Wachzeit, als Bettruhe. Das mit der Gewichtszunahme kam zuerst – und hätte kein Abbruchgrund sein müssen, aber in Kombination habe ich dann doch die Reißleine gezogen. Macht das aber bitte selbst nur in Absprache mit eurem Arzt. Es gibt da ein SSRI-Absetzsyndrom, dass es in sich haben kann. Habe ich aber erst später erfahren, weil ich die Packungsbeilage nicht gelesen hatte … (Pssst – Post-SSRI-bedingte sexuelle Dysfunktion!)
Zum Glück habe ich da keine Nebenwirkungen gehabt. Es zeigt aber, dass man bei Medikamenten keine Selbstexperimente machen sollte. Weder bei der Einnahme, noch beim Absetzen. Und nicht nur, weil dein bester Freund unter Umständen nie wieder kann!
Ich trauere der positiven Wirkung nach, aber der Preis war einfach zu hoch und hat im späten Verlauf nebenbei die Wirkung stark reduziert.
Soll man nun, oder nicht?
Das muss jeder individuell entscheiden. Ich würde raten, es in Betracht zu ziehen und unter guter ärztlicher Kontrolle durchzuführen. Bei jedem Patienten wirkt jedes Medikament unterschiedlich gut. Manche gar nicht, andere mit Nebenwirkungen. Wer sich vorhin durch die Abkürzungen geboxt hat, der wird sich gefragt haben: Wieso so viele verschiedene Medikamente mit so unterschiedlichen Ansätzen? Interessanter Gedanke, hm?
Ich selber würde sagen, dass es vermutlich daran liegt, dass die Wissenschaft bis heute nur probiert. Absolut gesicherte Aussagen über die Entstehung von Depressionen kann niemand treffen. Oft wird von einem chemischen Ungleichgewicht im Hirn ausgegangen, aber das ist nur Theorie anhand der Wirkung von Medikamenten – denn die chemischen Spiegel sind so einfach gar nicht zu messen! Das macht Medikamente für die Depression aber nicht automatisch zu einer Hexenküche und einem breit angelegten Experimentalfeld. Es gibt nachweisliche Wirkungen, auch wenn diese individuell abweichen können. Bitte lass dich nur nicht auf eine Bachblütentherapie ein, oder auf solche Glaubensgeschichten. Du hast eine ernstzunehmende, potenziell tödliche Krankheit. Keine vorübergehende Stimmungsschwankung, schwere Phase, oder Überanstrengung. Du bist keine weinerliche Persönlichkeit, müsstest dich nur mal zusammenreißen und es geht nicht einfach bald wieder vorbei, Kopf tätschel, wird schon wieder.
Medikamente sind Helfer, wenn auch nicht unbedingt Freunde. Meine Erfahrungen können von deinen stark abweichen. Was ich oben mit grundsätzlich dieselbe Erfahrung meine ist, dass man unter Umständen eben dutzende Mittel durchprobieren muss, bevor man etwas findet, was wirkt und ohne Nebenwirkungen ist. Möglicherweise findest du nichts, was keine Nebenwirkungen hat. Vielleicht gibst du es so schnell auf, wie ich. Oder vielleicht bist du hartnäckiger und stößt auf den Heiligen Gral. Sei halt ehrlich zu dir selbst und glaube nicht alles, was Leute dir erzählen. Besonders wenn du betroffen bist, wenn du diese ätzende Krankheit hast – sprich mit einem Experten. Das heißt, Arzt, falls das nicht klar war. Arzt, wie in staatlich geprüft, wie in studiert und wissenschaftlich. Homöopathen bieten Placebos, Heilpraktiker schwurbeln dir nur etwas vor. Du bist krank, es gibt Hilfe. Verbinde die Punkte.
Ja, Psychopharmaka können heftig sein. Ja, jeder will ohne Nebenwirkungen. Ja, du hast schon alles ausprobiert. Nein, du kommst nicht darum herum dir ein Rückgrat wachsen zu lassen und deine Krankheit ernst zu nehmen.
Dein dich nicht bemitleidender, aber mitfühlender Hautloser.
4 Antworten zu Medikamente – Freund und Helfer?