Genetische Disposition vs. Das Leben

Heute möchte ich ein paar Gedanken mit euch teilen. An sich sind die intim, aber das Gedankenspiel ist inzwischen vorbei, weil aus den Gedanken Tatsachen geworden sind. Ich beanspruche keine vollumfängliche Wahrheit, möglicherweise helfen meine Gedanken aber, anderen Menschen mit Depressionen sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Vielleicht ist es für den Rest der Menschheit interessant.

 

Ich werde Vater

Ich könnte sagen, dass ich schon wieder Vater werde. Ich habe ja vor einigen Jahren zwei Kinder in mein Leben gelassen und empfinde mich für alle praktischen Belange als der Vater der beiden. Rechtlich sieht das freilich anders aus, aber das ändert absolut nichts am Empfinden, oder am Zusammenleben. Meine Freundin und ich erwarten in einigen Monaten ein Kind. Mein erstes Leibliches, mein Drittes insgesamt.

Als wir zusammen gezogen sind, habe ich viele Kämpfe mit mir und mit den Kindern führen müssen. Es ist alles andere als leicht dafür zu sorgen, dass meine Krankheit nicht zum Leid der Kinder wird. Mir ist das bei Weitem nicht immer gelungen und wird es in Zukunft nicht immer gelingen. Aber es hat dazu geführt, dass ich mir mehr Gedanken darum machen musste, wie ich reagiere, wie ich handle und vor allem inwiefern meine Krankheit in meine Entscheidungen und Äußerungen einfließen. Das alles im Bewusstsein, dass kein Vater, keine Mutter jemals perfekt sein kann – oder nur sein sollte. Versagen, Fehlentscheidungen, Irrtümer, Missverständnisse und alle anderen Sorten menschlicher Fehlbarkeiten gehörten nun einmal zu unserem Leben dazu. Wir sollten uns nicht daran messen, wer weniger Fehler macht, sondern daran, ob wir daraus lernen, wie wir damit umgehen und wie ehrlich wir diesbezüglich sind.

Das klingt einleuchtend und ist logisch relativ einfach nachzuvollziehen. Aber leb das Mal. Jeder Elternteil, der einmal ein Kind versucht hat zu erziehen, weiß genau, was ich meine. Du machst Sachen falsch. Du wiederholst manche Fehler. Du wunderst dich oft, wieso das so ist. Wenn du Glück hast, oder besonders reflektiv bist, dann achtest du zukünftig darauf. Vielleicht ist es dir sogar möglich, dein Verhalten anzupassen. Du hast aber gute Chancen deine eigenen Fehler einfach zu übersehen, weil du so darauf fixiert bist mögliche Gefahren und Fehler deiner Kinder zu sehen und zu antizipieren, dass du keine Zeit für dich selbst hast.

Addiere eine Depression.

Welcher Vater werde ich sein?

Werde ich wie mein eigener Vater sein? Werde ich wie einer aus dem Fernsehen sein? Werde ich wie einer meiner Freunde sein? Wie sollte ein Vater sein? Habe ich eigene Vorstellungen davon, was ein Vater sein sollte, was er tun sollte, und vor allem was nicht? Werde ich der berühmte „Ein Freund? Ich habe eine Axt im Haus!“ Typ, oder kümmere ich mich nicht genug, weil ich mein eigenes Leben führen will? Sollte ich meinen Kindern reinen Wein einschenken und sie mit der vollen Realität meiner Krankheit konfrontieren? Oder soll ich darüber lieber gar nichts sagen. Oder soll ich es kindgerecht verpacken?

Ich will gar nicht zu sehr auf das Thema Erziehung, zwischenmenschliches miteinander und dergleichen eingehen. Ist ein anderes, abendfüllendes Thema. Klar soll nur werden, dass ich als depressiver Mensch die gleichen, aber auch ein paar zusätzliche Fragen an mich habe.

Es erscheint logisch, dass man sich zuerst mit diesen Fragen auseinandersetzt, wenn man Vater wird. Sie leuchten sofort ein, präsentieren sich von selbst und sind vermutlich die Fragen, von denen wir annehmen, dass andere Menschen uns daraufhin prüfen werden. Kein Wunder, dass ich mich damit zuerst beschäftigt habe. Doch es gab bei mir eine andere, dahinter liegende Frage. Die lautete: Wird dein Kind deine Krankheit erben? Wirst du der Vater sein, der sein Kind zu einem Leben voll leid verdammt?

Genetische Disposition

Keine Sorge, ich werde im nächsten Abschnitt die Antwort auf diese Frage geben, die ich mir erarbeitet habe. Zuerst möchte ich all jenen sagen, die jetzt gedacht haben „Ach Mensch, Daniel! Sowas solltest du dich nicht fragen. Du kannst nichts daran ändern, zermürbe dich nicht selbst, sei nicht so hart zu dir.“, dass ich als kranker Mensch eine Verantwortung trage, die ich nicht ignorieren kann.

Es gibt Belege dafür, dass Depressionen sowohl genetisch veranlagt sind, als auch erworben werden können. Eine genetische Disposition, eine erbliche Veranlagung, bedeutet nicht zwangsläufig, dass ein Kind die Krankheit haben wird. Es bedeutet, dass es anfälliger für die Krankheit ist. Auf der anderen Seite muss es deswegen keine Depression entwickeln, wenn auch ein Kind ohne erbliche Vorbelastung durch ein Trauma eine Depression entwickeln kann. Gänzlich schützen kann man sich in keinem Fall. Dafür spricht ja auch, dass das Leben generell nicht kontrollierbar ist, auch wenn wir uns das gerne einreden. Geh morgen über die Straße und der Laster übersieht dich beim Abbiegen.

Insofern muss ich mir als Depressiver aber zumindest darüber bewusst sein, dass ich eine Veranlagung zu einer Depression vererben kann. Das ist so, als ob du einem unschuldigen Kind eine gesicherte Handgranate ins Bett legst. Da muss gar nix passieren, aber es könnte.

Die Antwort auf die Frage

All die Überlegungen führen dahin, dass man nichts mit absoluter Gewissheit sagen kann. Es ist nicht wirklich eine Handgranate. Und wenn es eine wäre, dann halte ich einen zweiten Sicherungsstift in meiner Hand. Denn ich bin mir im Klaren über die Möglichkeiten. Ich bin sensibilisiert, weil ich genau weiß, wie ich mich als Kind verhalten habe, als ich mir anfing, die Krankheit einzufangen. Ich kenne Warnsignale und kann darauf dann achten.

Nun heißt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn Panik hilft am wenigsten. Ich werde genau hinsehen, aber ich werde mich immer daran erinnern müssen nicht zu überreagieren. Ich weiß außerdem, was einer Depression entgegenwirkt: Liebe und Aufmerksamkeit, den Rücken stärken und ehrlich sein. Klar kommunizieren und Irrtümer im Denken aufzuzeigen. Offen mit den eigenen Gefühlen umgehen und dem Kind beibringen, dass es geschützt, aber offen seine Gedanken und Gefühle mitteilen kann.

Hah, alle Leute mit Kindern lachen und nicken – denn sie wissen, wie unglaublich schwer das manchmal ist. Aber ich wusste ja vorher, dass Vater sein nicht leicht sein wird. Das Leben ist nicht leicht, aber das gilt ja für jeden.

Wichtig ist, dass ich nicht aufgebe. Wichtig ist, dass ihr nicht aufgebt. Weder du als Leser, noch du als mein Kind, das diesen Text womöglich irgendwann mal zu lesen bekommt. Andere Menschen zu lieben ist oft schwer und man möchte ihnen diese Liebe oft entziehen, um ihre Fehler zu bestrafen. Deshalb hast du meinen Respekt für jedes Mal, wo es dir gelingt, die Liebe zu bewahren und nicht aufzugeben.

 

Dein Hautloser

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