Intelligenz
Was mich oft irritiert ist, dass nur scheinbar positive Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Flexibilität, Loyalität, Dynamik oder Ehrgeiz eine stets dominante Rolle spielen. Liegt vielleicht nur daran, dass andere Eigenschaften in Stellenausschreibungen selten gefordert werden. Aber es besteht die Möglichkeit, dass ich einfach nur ein Zyniker bin.
Ich Ketzer.
Das bedeutet, dass jeder ein bisschen was weiß, aber nichts wirklich, oder in den falschen Zusammenhängen. Und wenn jemand mit ein wenig mehr Ahnung kommt und anfängt davon zu erzählen, ergänzen viele Menschen den Rest falsch aufgrund ihrer eigenen Ansichten.
Mein Problem
Erklären, dass Intelligenz ein oft missverständlich gebrauchtes Wort ist, mit oft falschen Vorurteilen und Ängsten behaftet. Der sogenannte IQ (Intelligenzquotient) hat nicht unwesentlich dazu beigetragen. Plötzlich gab es da einen Wert, an dem man gemessen wurde (nicht zwingend, aber gefühlt immer wird – oder?). Man kann unterdurchschnittlich (geht GAR nicht), durchschnittlich (wer will das schon?), oder überdurchschnittlich intelligent sein (Statistiker scherzen, dass sich 80% der Bevölkerung in diese Kategorie einordnet).
Meine total subtilen Klammerbemerkungen legen offen, wo sich absolut niemand einordnet. Oder anders – alle halten sich für überdurchschnittlich intelligent. Verständlich, denn aus irgendeinem (mir nicht bekannten) Grund hängt indirekt an diesem Wert das Selbstwertgefühl. Selbst wenn man den eigenen IQ gar nicht kennt, sondern (wie die allermeisten Menschen auf dieser Welt) ihn nur ungefähr abschätzen kann.
Pfiffige Zeitgenossen weisen an dieser Stelle darauf hin, dass das aber gar nicht so einfach ist, da der IQ nicht selbstevident ist. Wenn du nicht weißt, welchen Wert jemand anderes hat, du deinen eigenen Wert nicht kennst – ja, wie zum Geier willst du dich da korrekt einschätzen?
Du bist in einem Raum mit hundert anderen Leuten, die sich alle dämlicher verhalten, als du selbst. Du bist im Recht, wenn du dich für intelligenter hältst – aber für wie VIEL intelligenter? Und wie liest du den genauen Wert daran ab? Was, wenn alle im Raum 80 haben? Du würdest dich mit 90 schon wesentlich klüger finden – wärst aber trotzdem unterdurchschnittlich intelligent.
Spürst du ein unbehagliches Gefühl beim Lesen? Nimmt das gefühlt eine bedrohliche Richtung? Das ist dieses Problem, von dem ich spreche – trotzdem ich nur ein paar sachliche Aussagen treffe, fühlt sich dein Selbstwert angesprochen, vielleicht sogar bedroht. Sagt der mir jetzt, wie doof ich bin? Ich habe vorhin ein paar Begriffe gegoogled, bin ich dumm?
Die Skala
Hoch bis 85 gilt man als unterdurchschnittlich intelligent.
Zwischen 85 und 115 liegen 68% der Menschheit, was als durchschnittliche Intelligenz zählt (100 ist genau die Mitte).
Zwischen 115 und 130 spricht man von überdurchschnittlicher Intelligenz.
Ab 130 beginnt die sogenannte Hochbegabung. (Ich spreche lieber von hoher Intelligenz, aber das ist Definitionssache)
Ab 145 beginnt der Bereich, den z.B. der Mensatest gar nicht mehr misst, weil er kaum trennscharf erfassbar ist, weil es so verdammt wenige Leute dieses Kalibers auf dem Planeten gibt, dass man sie nicht sinnvoll miteinander vergleichen kann.
Trefft ihr mal auf so Morchel in der Disco, die euch davon erzählen, dass sie sicher einen IQ von 150 haben… nja.
So, und um komplett elitär zu erscheinen, bemühe ich einen hinkenden Vergleich. Oder um es präzise zu formulieren: Ich überspitze bewusst und mit einem zwinkernden Auge. Achtung, nicht so verdammt ernst gemeint.
Ein Mensch mit einem durchschnittlichen IQ von 100 ist von einer geistigen Behinderung bei 70 kognitiv so weit entfernt wie jemand mit über 130 vom Menschen mit 100. Das stimmt aus vielen Gründen so nicht, aber ich habe ja extra drauf hingewiesen.
Jetzt habe ich Kopfschmerzen.
Fazit
Ich habe eine andere Schuhgröße, als du. Ist nicht schlimm, finde ich. Ich bin halt ein wenig anders. Nur 2% der Menschheit erzielt einen derart hohen IQ. Aber dafür habe ich unter Depressionen und mangelndem Selbstwertgefühl gelitten. Ich habe ein verzerrtes Selbstbild, ordne mich nur schwer selbst korrekt ein, bin in meinem Leben oft genug der Außenseiter und habe mich vollkommen fehl am Platz gefühlt. Ich habe mich sogar für extrem dumm gehalten, weil ich offenbar nicht begriff, wieso ich so anders als der Rest war. Es ist interessant, wenn man dann endlich begreift, dass man die ganze Zeit eine völlig falsche Perspektive einnahm. Geradezu erhellend.
Doch all das macht mich nicht zu einem besseren, tolleren, wertvolleren Menschen. Es macht mich nur zu mir selbst. Zu dem, was ich halt bin. Ich habe nicht darum gebeten, ich habe nichts dazu beigetragen. Ich habe es nicht bezahlt und es wurde mir nicht geschenkt.
Da bin ich, ausgestattet mit einer ungewöhnlichen hohen Denkfähigkeit, die erst mit 42 Jahren festgestellt wurde.
Komisch, oder? Man möchte doch meinen, dass das mal jemandem aufgefallen ist. Dass mich jemand darauf angesprochen hätte. Dass jemand völlig uneitel mitteilt – hey, du bist aber echt intelligent!
Eine (in Zahlen 1) Person tat das. Deswegen bin ich dann zum Test. Surprise!
Ich klage nicht, inzwischen wird mir immer klarer, wieso das so ist. Ich finde das nur richtig… blöd. Denn ich will mir gar nicht ausmalen, was mir alles erspart geblieben wäre, wenn ich frühzeitiger darauf hingewiesen worden wäre.
In diesem Sinne hat mein Artikel nur einen einzigen Sinn – dich dafür zu sensibilisieren. Ich könnte seitenweise darüber schreiben, was wie und warum. Ein ganzes Buch mit meinen Beobachtungen zur menschlichen Natur füllen.
Aber bitte – wenn dir jemand auffällt, im Besonderen, wenn es ein Kind ist, dass offensichtlich außergewöhnlich intelligent ist, dann sag was. Sag es dem Kind, sag es den Eltern.
Das Attribut hat deswegen keinen Wertverlust erfahren, weil es für die Gesellschaft von großem Vorteil ist. Für die Zukunft unserer Art gar.
Und wenn du selbst keine Möglichkeit hast, dich objektiv mit anderen zu vergleichen, KANN es dir selbst gar nicht auffallen, wie intelligent du bist. Insbesondere nicht, wenn andere Faktoren hineinspielen, die es dir zusätzlich erschweren.
Du hast eine andere Haarfarbe, als ich. Vermutlich hast du kürzere Haare als ich (ja, auch viele Frauen). Deine Hände sind anders beschaffen, deine Stimme klingt nicht wie meine. Wir sind nicht besser oder schlechter. Wir sind nur anders. Kein Grund zur Angst.