Wohin des Weges, Fremder?

Was für eine exzellente Frage, nach dieser langen Abstinenz. Fast, als hätte ich sie mir selbst gestellt. Beeindruckend, vielen Dank!

Babypause

Zuerst sei gesagt, dass unsere Tochter im September 2017 gesund und munter zur Welt kam und uns seitdem ordentlich auf Trab hält. Sie ist quicklebendig, extrem mobil und hat einen Hang zum Wahnsinn. Fast, als sei sie eine Mischung aus mir und meiner besseren Hälfte – wait a minute …

Es war einer dieser berühmten Schlüsselmomente in meinem Leben, als ich sie im Kreißsaal zum ersten mal in den Armen hielt. Ein Gefühl, welches ich schlicht nicht beschreiben kann. Das ging vor mir Millionen von Eltern so und wird nach mir weiter so sein. Wie man so abgedroschen sagt – das musst du selbst erleben. An diesem Tag war ich von meiner Depression so weit entfernt, wie niemals zuvor. Vielleicht nicht einmal vor der Krankheit selbst.

Die Depression ist deswegen nicht fort, aber ich verspüre seitdem eine Spur öfters pures Glück. Serotonin hooooooo! (play:thundercats_hooooo.mp4)

Viel meiner kostbaren Zeit ging daher auf das Konto meines Nachwuchses. Trotzdem ich an sich nicht so der Typ dafür bin. Seit sie da ist, wissen wir eindeutig, dass wir keine weiteren Kinder mehr wollen. Zwei plus das Bündel Chaos reichen dann.

Diabetes

Am Tag vor der Geburt wurde ich mit Diabetes diagnostiziert. Typ 2, Altersdiabetes. Ja, mit vierzig wurde es auch mal Zeit … Seitdem habe ich 13 Kilo verloren, mich mit Insulin gespritzt, Tabletten genommen, bin auf Normalwert gesunken und habe den Jojo-Effekt erlebt. Einige Kilos sind wieder rauf und ich habe dank Disziplinlosigkeit einen leichten Anstieg des Zuckers erlebt. Jetzt beginnt das Spiel eben von vorne, nur in einer besseren Startposition. Ich beneide Menschen, die mit eiserner Disziplin ausgestattet sind. Das macht sowas wesentlich leichter. Dank meiner Tochter habe ich aber inzwischen einen Grund, mehr mich am Riemen zu reißen – auch schön.

Depression

Aha. Das Eingemachte. Thema des Blogs. Brennpunkt des Interesses. Meine Depression und die Einnahme von Mirtazapin über nunmehr 2,5 Jahre.

Hervorragend. Das Medikament blockt die schlimmsten Auswirkungen der Krankheit zuverlässig ab. Über den gesamten Zeitraum hatte ich keine schlimmen Gedankenkreise oder Suizidvorstellungen mehr. Das ist für meine Begriffe phänomenal. Es fühlt sich ein wenig an, als ob mein Hirn einen Türsteher hätte und die Depression nicht auf der Liste steht.

Ich will nicht sagen, dass die Krankheit besiegt ist, das wird sie nie sein. Sie ist in Schach und wirkt sich fast nicht mehr auf mein Leben aus. Bei starken Rückschlägen spüre ich, wie sich die Bestie anschleicht. Doch bevor sie zuschlägt, bin ich über alle Berge. So fühlen sich normale Menschen, wenn sie mit einem Achselzucken eine Niederlage wegstecken. Fantastisch!

Klar, es gibt Situationen, in denen ich mich niedergeschlagen fühle, manchmal sogar ditschig. Aber sie halten nur kurz vor und die Wege führen nur um den Gipfel herum, statt durchs Tal. Ich würde sagen, dass das ein gewaltiger Fortschritt ist. Ich empfehle jedem Depressiven, es zumindest mit einer Medikation zu probieren. Zurzeit habe ich nicht einmal das Gefühl, dass ich eine Therapie brauche.

Aspirationen

Etwas Unglaubliches ist passiert. Etwas so Wundervolles, dass ich es einfach erzählen muss. Ich habe dank Mirtazapin endlich meine Unfähigkeit überwunden, Dinge zu vollenden, die ich angefangen habe. Ich habe ein komplettes Buch geschrieben. 420 Seiten stark und über einen (vorher nahezu unvorstellbaren) Zeitraum von sieben Monaten. Endlich habe ich die Bestätigung dafür, dass ich es sehr wohl kann. Und zwar immer wieder. Es gibt kein Stoppen mehr. Seitdem schreibe ich nicht nur wieder gerne, sondern häufig, fast täglich. Mein Pensum ist von anfänglich 3 Seiten auf zehn Seiten oder mehr angeschwollen. Ich weiß, die meisten können damit wenig anfangen, aber wer selbst schreibt, der versteht das.

Für mich ist es die bahnbrechende Auswirkung überhaupt. Ich kann endlich tun, was ich mir schon seit Ewigkeiten gewünscht habe. Keine Selbstzweifel bremsen mich mehr aus, keine Ditsche unterbrechen mehr meine Projekte. Ich bin wie ausgewechselt.

Klar, ich stehe jetzt ganz am Anfang. Ich werde damit nicht ad hoc meinen Lebensunterhalt bestreiten können. Aber ich kann das Ziel endlich verfolgen. Ob mein erster Roman Anklang bei Agenturen oder Verlagen findet, ist ungewiss. Doch ich habe etwas vorzuweisen, nicht nur Träume und Behauptungen. Ein gutes Gefühl.

Endlich – mir fällt auf, wie oft ich dieses Wort in diesem Beitrag benutzt habe. Mag sein, dass ich spät dran bin. Mag sein, dass andere Menschen schon mit Mitte zwanzig an dieser Stelle gestanden haben. Doch ich bin ich, mit all meinen Fehlern und all der Zeit, die ich gebraucht habe. Ich bin endlich in Ordnung mit mir selbst. Das allein zählt.

Euer Hautloser

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