Vom Vorteil des Schweigens

Es ist lange ruhig gewesen. Vier Monate sind ins Land gezogen und ich habe keinen Beitrag geschrieben. Zugegeben, es hat an mir genagt und ich habe mir selbst ein paar Vorwürfe gemacht. Aber es hatte auch gute Seiten. Denn immerfort transparent zu sein fordert Kraft. Man schlägt sich manchmal mit Idioten herum, die glauben, dass sie ach so clever sind und einem auf die Nüsschen gehen wollen, aus unterschiedlichen Gründen. Solche Leute nutzen es gerne aus, wenn sie umsonst Futter für ihre Spielchen bekommen. Eine Phase der Ruhe ist da willkommen, um solchen Individuen indirekt das Maul zu stopfen. Sowohl privat, als auch beruflich.

Was ist aber in der Zeit geschehen?

Ich habe ein paar Vorschläge erhalten, über was ich thematisch schreiben könnte. Einen davon habe ich mir für heute ausgesucht. Er lautet: Inwiefern hast du dich verändert? Ich nehme mir die Freiheit, diese Frage zeitlich nicht zu begrenzen, da Veränderungen meist nicht trennscharf unterschieden werden können.

Es gibt Veränderungen, die einen Zeitraum von wenigen Wochen, oder Monaten haben, andere wiederum spiegeln Zeitabschnitte wieder und wieder andere lassen sich nur über viele Jahre und Jahrzehnte messen. Da ich versuche, nicht in der Vergangenheit zu leben (was meine Krankheit gerne tut, weil man sich dann rückwirkend so wunderschöne Vorwürfe machen kann), ist mein Erinnerungsvermögen meist nur klar auf das beschränkt, was wirklich wichtig ist. Wir können die Vollständigkeit schon einmal beruhigt aus dem Fenster werfen.

Veränderungen über lange Zeiträume

In dieser Kategorie gibt es ein paar wichtige Veränderungen, weil sie mein direktes Erleben beeinflussen und weil sich bei manchen erst spät ein Unterschied für mich gezeigt hat.

Meine Geduld. Insbesondere meine Geduld mit anderen Menschen und Bullshit. Früher habe ich mehr Bullshit hingenommen, als ich heute ertrage. Ich sage heutzutage den Leuten, die es betrifft, viel schneller, was ich so denke. Meistens muss ich mich dabei nicht einmal wiederholen, weil ich mich weniger darum schere, was meine Äußerung bewirkt. Ich bin fast vierzig und habe keine Lust mehr erwachsenen Menschen sagen zu müssen, wie idiotisch sie sich verhalten. Ich schätze ab, inwiefern die Person für mich von Bedeutung ist und platziere dementsprechend Vitriol in meinen Aussagen. Als Erwachsener ist man selbstverantwortlich. Wer Scheiße im Hirn hat und meint die raus pusten zu müssen, bitte. Er darf sich nur nicht wundern, wenn er eine entsprechende Reaktion erhält. Früher habe ich oft gelächelt und Nichts gesagt. Mir meinen Teil gedacht und mein Verhalten angepasst. No more. Heute neige ich eher dazu, Leute verbal zu verbrennen. Vorher gibt es aber je nach Sympathie oft ein paar Vorglühphasen, in denen ich leichte bis mittlere Flak auspacke. Das ist oft schon genug, um Schlimmeres zu verhindern.

Nein, wir können nicht alle friedlich miteinander koexistieren. Besonders nicht mit Leuten, die Depressionen oder andere Krankheiten zu einem Lifestyle erheben, oder solche Leute feiern.
Meine Fähigkeit, mit Provokationen umzugehen. Ja, die hat sich im Allgemeinen etwas verbessert. Natürlich kommen Leute, die mir emotional nahe stehen wesentlich öfter mit Provokationen durch, aber nicht mehr Leute, die mir völlig egal sind. Die schaffe ich inzwischen zu ignorieren, auch wenn ich sie wahrnehme. Das ist für mich keine selbstverständliche Fähigkeit. Meine Haut war früher dünner und sie ist lange nicht so dick, wie ich gerne hätte. Aber meine Reaktionen auf Provokationen haben sich gewandelt, sind besser geworden.

Veränderungen in bestimmten Zeitabschnitten

Schwierig. Ich würde sagen, dass das Selbstwertgefühl in diese Kategorie gehört. Ich habe schon unterschiedliche Stadien davon durchgemacht. Mal hatte ich mehr davon, oft weniger. Meine momentane Situation gibt mir wieder mehr davon, was mich freut. Gründe dafür sind eindeutig meine mich stets unterstützende Freundin, komme was wolle. Auch meine Kinder tragen dazu bei. Andererseits hilft mir das Medikament scheinbar auch in dieser Sparte. Oft habe ich beruflich mit Menschen zu tun, die ein solches Selbstverständnis für ihre eigene Wichtigkeit haben, dass ich mich frage, wie die mit sich selbst leben können. Mit ist bewusst, dass da Schauspiel dazugehört und sie anders auftreten, wenn sie einem nicht direkt gegenüber stehen. Aber manchmal ist es so, dass ich nur die Hand vor die Stirn schlagen will. Da gibt es Leute, die im Brustton der Überzeugung etwas vortragen, von dem sie glauben, dass sie alles Recht der Welt dazu hätten. Es stellt sich aber zumeist heraus, dass das pure Einbildung ist. Aber mit welchem Chuzpe die auftreten… unglaublich. Wissenschaftlich betrachtet macht Selbstwertgefühl im übersteigerten Maß ja sogar Sinn, aber meine Fresse kann das nervtötend sein.

Wenn ich mich dann objektiv damit vergleiche, gewinne ich an Selbstwert, weil ich einen qualitativen Unterschied dingfest machen kann. Man könnte grob sagen, dass es gut ist, wenn es dumme, arrogante, oberflächliche, aufschneiderische und missgünstige Menschen gibt. Denn man kann die anderen dadurch von ihnen unterscheiden.

Eine andere Veränderung, die direkt damit zusammenhängt, ist meine Fähigkeit, Dinge leichter zu nehmen. Sie entwickelt sich erst, ich würde nicht behaupten, dass ich ein lockerer Mensch bin. Ich bin nach wie vor verbissen, hart und dogmatisch – was manchmal ein echter Vorteil ist. Aber ich beginne damit mich gedanklich etwas davon zu lösen. Ich mache mir das Leben oft unnötig schwer, weil ich nicht oft genug denke – ach leckt mich doch, mir doch egal. So viele Menschen sind dazu in der Lage, wäre ja gelacht, wenn ich das nicht lernen könnte.

Kurzfristige Veränderungen

Die wichtigste Veränderung ist eindeutig die Abwesenheit meiner Ditsche (von mir erfundenes Kunstwort. Abgeleitet vom „ditch“ im englischen, einer Art Graben, Mulde oder Tal in der Gemütskurve. ). Das Medikament blockt den Ditsch effektiv aus, und zwar auch dann, wenn es ansonsten einen Auslöser dafür gibt. Sachen, die mich vorher in die Verzweiflung und ein Tal der Tränen gebracht hätten, lösen nun lediglich einen intellektuellen Wahrnehmungsreiz aus. (Aha, jetzt hätte ich eigentlich einen Ditsch)

Auf der einen Seite ist das wunderbar, denn ich bin dadurch stabiler und bewahre mir öfter einen kühlen Kopf. Doch es gibt eine Schattenseite. Dadurch, dass die negativen Gefühle und Gedanken ausgeblockt werden, stauen sie sich an. Früher hat meine Depression als Ventil die Regelung übernommen. Ich habe einen gewissen Zeitraum an Verzweiflung, Tränen, Vergraben und vergessen durchlaufen und war danach damit durch. Eine Art Verarbeitungsprozess. Dieser fehlt und ich muss von Grund auf neu lernen, wie ich mit all dem Zeug in meinem Kopf konstruktiv und sinnvoll umgehen kann. Ich habe seit Monaten nicht mehr weinen können. Klingt im ersten Augenblick super und viele da draußen würden jetzt überzeugt behaupten, dass das für sie zutrifft, weil sie es gar nicht brauchen. Daniel du Heulsuse. Soll ich was dazu sagen? Zum Beispiel dass die Frauen es besser wissen, als ihr? Keine Sorge, mache ich nicht, will ja niemanden dazu anstiften sein Gehirn zu benutzen, wo kämen wir hin. In eine Welt, in der ich niemanden verbal verbrennen müsste. Hach ja.

Das Ausbleiben von gedanklichen Blocks. Früher hatte ich oft das Problem, dass ich mich selbst zum Stillstand ausgebremst habe. Ich habe etwas angefangen und dann nicht zu Ende gebracht, weil ich dachte: „Das schaffst du eh nicht.“ Oder sowas wie: „Was du da machst, ist nicht gut, niemand wird sich dafür interessieren und du kannst das eh nicht.“ Giftige kleine Dinge. Es ist schwer nachvollziehbar, dass solche Gedanken ganze Lebensabschnitte zerstören können, doch ist es bei mir so passiert. Langsam und unter großer Aufwendung von Willenskraft ändere ich das. Achtbarkeitsübungen sollen dabei helfen, auch wenn sie mir körperliches Unbehagen verschaffen. Mehr im Hier und jetzt, gedanklich nicht so weit ausgebreitet.

Meine kommende Therapie. Montag habe ich die letzte von fünf Sitzungen zum Kennenlernen hinter mir und entscheide, welche Therapieform, mit welchen Zielen ich in Angriff nehme. Im Grunde genommen habe ich das schon für mich entschieden, aber darüber schreiben werde ich später mal, wenn die Therapie läuft und ich drüber reden mag.

 

Euer Hautloser

Tagged , , , , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert