Das klingt ja furchtbar – ist es immer so schlimm?

Sind Nicht-Depressive niemals traurig? Natürlich nicht. Die meisten werden sich das sicher schon gedacht haben, aber da draußen herrscht Unwissen zu dem Thema „Was genau fühlen Depressive?“. Also beschreibe ich hier mal, wie sich gute Tage anfühlen, von denen man als depressiver hoffentlich mehr hat, als schlechte. So wie bei allen anderen Menschen auch.

Meine Freundin und ich haben uns darauf geeinigt eine Art Kommunikationsstandard für meine Stimmung festzulegen. Das klingt komisch, erleichtert aber eine Einschätzung der Situation und beugt Missverständnissen vor. Da ich mich generell im Schnitt nicht so brillant fühle, sondern oft eher das, was ich so mittelprächtig nenne, musste so eine Art goldene Mitte für uns beide gefunden werden.

Mein Empfinden ist subjektiv eben bedeutend schlechter, als der Eindruck, den ich nach außen vermittele. Er ist durch meine gestörte Selbstwahrnehmung oft schlechter als der objektive Zustand. Gegenüber Bekannten, Freunden und Fremden präsentiere ich oft meine Maske. Die ist neutral, oder leicht freundlich, aber eben nur aufgesetzt. Wer mich nicht gut kennt, hat im Zweifel keine Chance zu durchschauen, wie es mir geht. Formulierungen wie: „Ganz gut“, „Läuft“, „Muss ja“, „Wie soll es schon gehen?“, „Ganz in Ordnung“, „Den Umständen entsprechend“, „Joah“, „Mhm“ und ähnliche haben nur einen Zweck – die oft Smalltalk mäßige Frage so zu klären, dass das Gegenüber zufrieden ist. Die Person muss sich keine Gedanken um mich machen und ich muss mir keine Gedanken machen, wie ich meinen Zustand erklären muss.

Da auch meine engen Freunde und meine Familie Opfer meiner Abwehrmaßnahme werden, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich damit mal nicht weiterkam. Also haben meine Freundin und ich vereinbart, dass es so etwas wie eine Nulllinie geben muss. Nach einer langen Abklärung und Suche haben wir uns darauf geeinigt, dass meine Nulllinie ihrer 5 entspricht. An ihrem durchschnittlichen Empfinden von 1-10 gemessen. 1 ist dabei richtig mies und 10 ein blendendes Hochgefühl. Das ist keine korrekte Übersetzung, aber vermittelt etwas, wie ich mich als depressiver einigermaßen gut fühle. Sie kann dementsprechend fragen, wie es mir geht, und ich kann mit einem Zahlenwert antworten, positiv oder negativ. Wenn ich an einem eher schlechten Tag sage, dass ich mich -4 fühle, dann weiß sie, dass es mir nicht gut geht, aber in Relation als Depressiver noch nicht so furchtbar, wie sich ein Nicht-Depressiver vermutlich fühlen würde. Bitte versteh das nicht falsch als wertende Aussage, sondern als ein Instrument, um mich einschätzen zu können.

Der Kern des Pudels

Das vorweggesagt, bleibt die eingangs gestellte Frage offen. Es ist nicht immer schlimm, sondern oft richtig schön. Ich habe seit eineinhalb Jahren eine eigene kleine Familie, mit einer wunderbaren Frau und zwei süßen und tollen Kindern. Das alleine ist schon ein Grund, glücklich zu sein. Dazu kommen die ganzen schönen Momente, die man eben als Familie zusammen erlebt. Freundliche Kommentare von Mitmenschen erheitern mich auch. Dinge, die ich bewältige, von denen ich dachte, dass sie nicht machbar wären ebenso. Halt alles, was einen Nicht-Depressiven auch zum Lachen und glücklich sein bringt. Aber ich empfinde diese Dinge aus zwei Gründen eben nicht als so überschwänglich wie andere Menschen. Der erste Grund ist die Kraft, die die restliche Zeit kostet. Als nicht-depressiver ist es oft nicht klar, wie viel Energie es verschlingt gegen die Krankheit und ständig drohenden Gedanken anzukämpfen. Schon ein unbedachter Kommentar wie „Kopf hoch, lächle mal!“ kann dazu führen, dass ich die Energie für einen halben Tag in nur einem Augenblick ausgeben muss. Denn die Erinnerung an meine Krankheit bringt sie oft spontan zum Vorschein. Dann kommen Schuldgefühle, weil es einem generell doch besser gehen müsste. Ich muss die Maske sofort parat haben, um meine Gefühle nicht nach außen dringen zu lassen, und ich muss aktiv gegen die Gedanken kämpfen, die sich mir aufdrängen.

Der zweite Grund ist die generelle Vorsicht, mit der ich an Gefühle herangehe. Viele Menschen sehen und erleben mich als nüchternen Typ. Ich bin selten offen und selten überschwänglich freudig. Meine Gefühlsäußerungen kochen eher auf kleiner Flamme, selbst wenn es um große Gefühle geht. Du kannst mir glauben, dass ich sie selbst als ebenso groß empfinde, wie du, vielleicht sogar größer. Aber ich erlaube sie mir nicht. Jedes aufkeimende Gefühl wird sofort per inneren Zensor in die Schranken gewiesen und in eine Warteschleife gehängt. Dann wird es begutachtet, von der Krankheit selbst, und bewertet. Darf ich das Gefühl überhaupt haben? Ist es gefährlich? Darf ich es nach außen zeigen? Traue ich mir das Gefühl zu? Oft scheitert es schon an der Frage, ob ich mir das Gefühl erlauben darf, ob ich es verdient habe. Denn mein negatives Selbstbild schlägt an dieser Stelle gerne einmal zu. Ich habe das nicht gern, aber danach fragt die Depression nicht, denn das ist ein gefundenes Fressen. Ich bin mir nicht sicher, wie oft sich andere Menschen über mich und mein Verhalten wundern, was Gefühle anbetrifft, aber ich fürchte, dass fast niemand ganz erfassen kann, was in mir passiert. Ist das gut? Kann man das bei anderen? Sollte man das überhaupt? Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, die dir nutzen könnten. Einzig die Aufforderung zu tun, was du für richtig hältst. Ich entscheide im Zweifel immer für ein gleichmäßig emotional flaches Auftreten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass mich nette Worte nicht berühren, oder Anerkennung mich nicht erreicht, oder eine liebe Geste mich nicht innerlich zum Lächeln bringt. Aber weil es mit einem einzigen, nicht einmal böse gemeinten, Satz möglich ist, mich in tiefe Verzweiflung zu stürzen, muss ich eben aufpassen.

Ich bin zum Beispiel glücklich darüber, dass die anfänglichen Reaktionen zu diesem Blog so positiv und bestärkend ausgefallen sind. Wenn ich jemandem ein einfaches „Danke“ sage, so ist das bei mir quasi Jubel und Freude. Wenn ich nichts sage, muss das nicht heißen, dass ich eine Bemerkung blöd finde, oder sie nicht zur Kenntnis nehme. Es könnte sein, dass ich einfach nicht sicher bin, ob ich in die Richtung weiterfragen will, oder ob ich Folgereaktionen bekomme, mit denen ich nicht gut umgehen könnte.

Wenn ich meiner Freundin mitteile, dass ich bei einer guten 4 liege, dann weiß sie, dass ich mich getraut habe, zuzugeben, dass ich einen tollen Tag hatte und dass ich mir erlaube, dass es mir mal gut gehen darf. Sie wird dann breit grinsen und sich mit mir freuen. Es geht nicht um die Zahl. Es geht um das individuelle Empfinden. Und das ist für jeden Menschen subjektiv anders, ob als Depressiver, oder Nicht-Depressiver.

Danke, dass du meinen Blog liest.

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2 Antworten zu Das klingt ja furchtbar – ist es immer so schlimm?

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