Ihr wisst, dass ich nicht für alle Depressiven sprechen kann. Jede Depression ist einzigartig und jede Person denkt und fühlt anders. Dennoch möchte ich euch heute auf etwas außergewöhnliche Art und Weise näherbringen, was vermutlich bei einem Depressiven los ist, wenn ihr die folgenden Sätze zu ihm oder ihr sagt. Ich werde versuchen aufzuzeigen, wie sich ein Depressiver fühlen könnte, wenn er diese Sätze hört. Bedenkt bitte, dass ihr womöglich einen Depressiven vor euch haben könnt, ohne nur den kleinsten Verdacht darüber zu haben. Wir mögen Meister der Tarnung sein, aber sicher sind wir keine Meister darin uns die Dinge zu Herzen zu nehmen und dann darunter zu leiden.
Davon abgesehen kann man mit gedankenlosen Äußerungen auch Nicht-Depressive gehörig in Mitleidenschaft ziehen. Also, lieber eine Sekunde nachdenken, bevor ihr die typischen Stereotypen auspackt.
Diese Sätze sind welche, die ich selbst schon gehört habe und die einem eben leicht über die Lippen gehen. Sie sind nicht immer schlimm, aber sie können fatal sein. Unter dem jeweiligen Satz könnt ihr lesen, wie ich persönlich darauf reagiere und im kursiven Absatz jeweils, wieso ich die Sätze generell für unangebracht halte. Los geht’s!
Kopf hoch, das wird schon wieder!
Ouch fucking Ouch. Das wird sicher nicht wieder. Wie kannst du so ignorant mit mir reden? Weißt du überhaupt, dass ich noch lange nicht am tiefsten Punkt bin? Ich befinde mich im fallenden Aufzug. Danke, jetzt habe ich vor Augen, wie tief es noch gehen wird. Ich kämpfe jeden einzelnen Tag dagegen an und du hast nur ein Kopf hoch über. Als ob ich das nicht schon probieren würde! Ich bin so ein Versager, andere haben es so leicht damit. Ich sollte es beenden.
Dieser Satz ist eine Durchhalteparole, die wir gerne benutzen, wenn wir nicht weiter wissen. Wird schon wieder – da schwingt die Hoffnung mit, dass es sich magisch von selbst einrenkt. Kann passieren, aber wenn wir ehrlich sind… Lieber sagen, dass man nicht weiß, was man sagen soll. Wenn es echtes Interesse ist, dann lieber Hilfe anbieten, oder ein Ohr leihen. Dieser Satz tut einem Depressiven richtig weh.
Dir ist schon klar, dass man sich entscheiden kann glücklich zu sein?
Wie soll das gehen? Können andere Menschen das? Da heule ich gleich los, denn nun bin ich verzweifelt. Wieso kann ich das nicht? Ist es zu viel von mir verlangt? Entspreche ich den Erwartungen nicht? Für wie unfähig und blöd muss man mich jetzt halten? Ich will mich jetzt zusammenrollen und aufhören zu existieren.
Ehrlich, bei diesem Satz kriege ich Wut. Wer derart Dämliches von sich gibt, ist es entweder, oder hat echt gar keinen Plan, was er von sich geben soll. Nicht einmal Nicht-Depressive können einfach so entscheiden, glücklich zu sein. Ihr kennt diese ganzen Motivationstrainer und Dauer-Glücklich-Esoterik-Heinis, die mit dem penetranten Dauergrinsen durch die Landschaft stolzieren und allen verkaufen wollen, dass sie das Rezept für das Glück entdeckt haben. Ich traue absolut keinem, der andauernd glücklich grinst und behauptet es zu sein. Wieso nicht? Ich weiß, wie man vortäuscht, dass es einem gut geht. Das sieht genau so aus. Du kannst nicht nach Belieben in deinem Gehirn einen Schalter umlegen. Du kannst sicher eine Menge dafür tun, dass das öfter mal passiert, aber Depressive haben keine Kontrolle über ihre Emotionen. Das ist eine Krankheit, nicht eine Wahl, oder gar Nachlässigkeit die eigenen Emotionen an- und auszuknipsen …
Du musst nur positiv denken!
Wow. Ach so! So einfach ist das? Ich geh mich jetzt in die Ecke setzen und sterben. Danke für den Anstoß zum Suizid.
Sag mal, rauchst du irgendwas? Im Ernst? Da ist einer, der ein Ungleichgewicht der Chemie in seinem Kopf hat. Der versucht jeden verdammten Tag so positiv, wie nur irgend möglich zu denken. Ein Tag, an dem er nicht weint, verzweifelt, sich hundeelend fühlt, er es schafft, normalen Tätigkeiten nachzugehen, manchmal nur froh ist, dass er es geschafft hat aufzustehen, das ist ein Tag voller positiver Gedanken! Das hat nur leider rein gar nichts damit zu tun, dass er von seiner Krankheit gepeinigt wird. Was machst du so an einem Tag, an dem du gefeuert wurdest, deine Eltern gestorben sind, oder dir deine Bude abfackelt. Positiv denken? Mhm.
Du hast doch keine Depression! So wirkst du überhaupt nicht, das glaube ich nicht!
Danke. Ein von Herzen kommendes Danke. Endlich jemand, der mich ernst nimmt und zu schätzen weiß, dass ich ihm etwas für mich Schreckliches, Angsteinflößendes und potenziell Tödliches mitgeteilt habe. Ich werde jetzt sofort gehen, weil ich nicht will, dass du siehst, wie ich die nächste Stunde heulen werde. Ich werde dich sicher nie wieder mit meiner völlig überzogenen Hoffnung in dich belästigen.
Das ist ein Killersatz. Es ist völlig egal, in welchem Kontext du jemandem absprichst, dass etwas nicht wahr ist, nur weil du einen anderen Eindruck von ihm hast. Trauer, Depression, Burnout, Stimmen im Kopf, Autismus, suche dir was aus. Du hast eine schallende verbale Ohrfeige verteilt, die nur von einer Sache zeugt – Deiner Ignoranz. Wenn du jemanden nicht ernst nimmst, der mit einer solchen Sache ankommt, dann sagst du im Grunde genommen nur: „Ich glaube dir nicht, ich vertraue dir nicht. Du erfindest etwas, um Aufmerksamkeit zu bekommen.“ Sorge lieber dafür, dass du dir absolut sicher bist, dass eine solche Äußerung erfunden ist, bevor du diese Worte von dir gibst.
Es gibt Menschen, denen es viel schlechter geht, als dir!
Du hast Recht, ich sollte mich nicht so anstellen. Aber ich kann nicht anders, jetzt habe ich ein schlechteres Gewissen, als zuvor. Ich bin so ein Arschloch, weil ich mich nicht zusammenreiße. Wie kann jemand wie ich nur mit sich selbst leben? Ich sollte mir endlich ein Ende setzen, so einen überflüssigen Menschen wie mich braucht die Welt sicher nicht.
Das ist mein Favorit. Wie fühllos muss man sein, um jemanden diesen Satz zu sagen. Rein objektiv mag es ja stimmen, aber subjektiv hast du keine Ahnung davon, wie elendig schlecht es einem Depressiven gehen kann. Du hast nie gefühlt, wie absolute Verzweiflung schmeckt, wie man sich schämt, so zu sein, wie hoffnungslos einem das Leben vorkommt und wie wahnsinnig gerne man anders wäre. Newsflash – es ist eine Krankheit. Du kannst ja auch nicht einfach ein gebrochenes Bein ignorieren und einen Hürdenlauf absolvieren, nur weil es Leute mit zwei gebrochenen Beinen gibt. Wie kannst du es wagen, einen Vergleich zu ziehen? Wie schlimm muss es sein, damit du es für angemessen hältst, dass ich mich zusammenrolle und heule, dass ich mir den Tod wünsche und bete, dass du mich ab jetzt einfach ignorierst? Reicht Krebs? Tuberkulose? AIDS? Muss ich Multiple Sklerose haben? Demenz? Herzinfarkt? Osteoporose? Meningitis? Einen Hirntumor? Hepatitis? Malaria? Bitte, sag es mir, ich tausche sofort, damit ich in deinen Augen eine Berechtigung habe.
Ich könnte mehr geniale Äußerungen aufzählen, aber diese hier fallen definitiv in die Kategorie: “Lieber nichts sagen und einfach in den Arm nehmen, bevor du die vom Stapel lässt.“ Bitte mache das nicht. Noch Vorschläge für andere Sätze, die euch mal begegnet sind? Her damit.
Übrigens müsst ihr euch jetzt nicht schrecklich miserabel fühlen, wenn ihr mal so etwas zu jemandem gesagt habt. Es ist menschlich Fehler zu machen. Es ist menschlich jemandem helfen zu wollen, wenn es demjenigen schlecht geht. Ihr habt vermutlich gar nichts Böses gewollt. Aber jetzt, wo ihr aufgeklärt seid – bitte macht es anders. FRAGT doch einfach bitte, wie ihr helfen könnt. Akzeptiert, wenn ein Depressiver sagt, dass ihr das nicht könnt.
Er spricht mit der Stimme der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Seid da, hört zu, nehmt ihn in den Arm, sagt dem Menschen, wie viel er euch bedeutet. Weint mit ihm, wenn euch danach ist. Alles ist besser, als gedankenlos vor sich hin zu sprudeln. Ihr könnt helfen, selbst wenn der Depressive es nicht sagt, oder es nicht sehen kann.
Euer Hautloser
5 Antworten zu Dinge, die du nicht sagen solltest