Das Miststück hat versucht mich umzulegen.

Ich versuche, stets das zu finden, was wirklich ist, nicht das, was sich gut anhört oder ich gerne hätte. Das bedeutet zwar, wie mir viele Menschen immer wieder sagen, dass ich überkritisch mit mir selbst, meinem Können und meinen Erfolgen bin – aber es macht mich weniger anfällig gegen den Selbstbetrug, der ja schon für Nicht-Depressive ein schwieriger Fallstrick sein kann.

Das Miststück von Depression wollte mich umbringen, als ich es zum ersten Mal an das Tageslicht zerrte. Es war nicht nur eine theatralische Phase von Selbstzweifeln, oder „eine schlechte Phase, die jeder mal hat“. Das war, als ich nach einer dunklen Episode zum Psychologen gegangen bin und mich habe diagnostizieren lassen. Mir war damals klar, dass etwas mit mir nicht stimmt, aber ich wusste nie genau, was es war. Nachdem es im Licht brannte, beschloss es, mich zum ersten Mal ernsthaft zu erledigen. Ich habe an anderer Stelle in diesem Blog beschrieben, wie ich Suizidgedanken erlebe. Ich erwähnte, dass ich einmal die zwei schlimmsten Wochen meines Lebens beschreiben werde. Gut, hier kommen sie.

Die Wiederholung ist der Tod

Es war Winter und ich konnte schlecht einschlafen. Das lag daran, dass Weihnachten durch war und ich zu dem Schluss gekommen war, dass es für mich keine Zukunft gibt. Es gäbe keine Frau, die es jemals mit einem wie mir aushalten könne. Keine, die ernsthaft an mir interessiert sei. Keine Familie, die ich jemals haben würde. Einfach nichts, worauf ich hätte hinarbeiten können. Ich habe keine formale Ausbildung, wer würde mir jemals einen Job geben, mit dem ich eine Familie dann auch ernähren könnte? Oder wie ich jemals ein Leben führen könnte, ohne andauernd auf jeden Cent zu achten? Blankes, aber sprachloses Entsetzen. Existenzangst.

Ich habe fast zwei Wochen lang jeden verdammten Abend wachgelegen, wenn ich ins Bett ging. Zwischen zwei bis vier Stunden war ich dann wach und hatte aneinandergereiht ausschließlich folgende Gedanken:

Es sind nur vier Schritte vom Bett zum Balkon. Du musst die Tür öffnen, ein Bein auf die Brüstung stellen und dich abstoßen. Dann hast du ein bis zwei Sekunden Frieden. Dann ist alles vorbei.

Diese vier Sätze für mehrere Stunden am Stück immer und immer wieder, ohne Unterlass, ohne Pause. Dass ich es nicht getan habe, grenzt im Nachhinein für mich an ein Wunder. Niemand, der das nicht erlebt hat, kann nachvollziehen, wie verdammt verführerisch diese Gedanken sind. Die versprechen dir endlich Frieden. Ruhe. Eine Auszeit für immer. Wenn du erst einmal tot bist, dann kümmert dich alles nicht mehr. Das ist Erlösung, meine Damen und Herren. Für einen Depressiven klingt das nach der sehnlichen Erlösung von seinem Leid. Das Dreckstück hat ernsthaft versucht, mich umzubringen, das war kein Witz, das war kein Täuschungsmanöver. Ich verdanke es nur meiner grenzenlosen Sturheit, dass ich es nicht einfach hinter mich gebracht habe.

Wieso ich das ausgerechnet jetzt erzähle?

Ich bin in den Anfängen einer depressiven Phase, die droht furchtbar schnell zu eskalieren. Und diesmal fängt sich das Monster welche. Eine harte, rechte Gerade in die beschissene Fresse. Ich nehme seit elf Tagen Mirtazapin. Das ist ein Antidepressivum. Ich habe für Ende Juni einen Termin bei einem Psychotherapeuten, um eine Therapie zu beginnen. Ich bin von mir aus zum Arzt gegangen, als ich mich krankmelden musste, weil mir nicht klar war, ob ich die Autobahn überleben würde. Ich gehe für die Übergangszeit zu einer Sozialarbeiterin (in Holland Social Worker), die mich bis zur Therapie zumindest begleiten will. Diesmal nicht, du Miststück. Diesmal nicht.

Und, rockt das Zeug?

Nein. Leider rockt es momentan nicht. Aber davon ist in den ersten Wochen gar nicht auszugehen. Mirtazapin benötigt zwei bis vier Wochen, bis der Wirkstoff in ausreichender Menge angesammelt ist, so dass er seine Wirkung entfalten kann. Wenn ich übernächste Woche eine Stimmungsaufhellung erleben sollte, dann wäre das für mich großes Kino. Ich bin es nämlich Leid.

Die Nebenwirkungen rocken dafür aber. Sobald ich eine kurze Ruhephase einlege, werde ich schläfrig. Sobald ich in der Horizontalen bin, droht der Schlaf mich in wenigen Minuten zu übermannen. Ich schlafe länger, als üblich und fühle mich tagsüber oft matt. Außerdem knallt das Zeug mir meine Aufmerksamkeit weg. Ich schweife in Gedanken ständig ab, kann mich schlecht konzentrieren und bekomme das selbst oft gar nicht mit. Die heftigste Nebenwirkung aber ist der Muskelschmerz. Beim Aufstehen fühlen sich alle meine Muskeln so an, als ob ich nach einem Marathon noch den Mount Everest in zehn Minuten hochgesprintet bin. An zwei Tagen ging es ohne Schmerztabletten gar nicht für meinen Rücken, der eh schon lädiert ist. Ob es das wert ist? Habe ich denn eine Wahl? Nicht, wenn ich den Kampf weiterführen will.

Trotzdem Depressive oft an den Tod denken und sich manchmal nicht vorstellen können, dass es Alternativen gibt, so glaube ich fest daran, dass uns alle eines eint – Wir. Wollen. Nicht. Sterben.

 

Dein Hautloser

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