Abartige Gedankengebäude

Bestimmt kennst du das. Du hast da so deine Gedankengebäude, in die du gehen kannst, wenn du schnell etwas verstehen musst. Wenn du dich auf einem Gebiet gut auskennst, hast du so ein Gedankengebäude. Es sind immer die gleichen, oder zumindest ähnliche Gedanken, die du brauchst. Es ist dann einfacher, in das Gebäude einzutreten und alles vorzufinden, was du brauchst. Da sind die alten, vertrauten Vorannahmen. Dort stehen die oft genutzten Lösungswege, schnell griffbereit für den Notfall. Hier in der Ecke wacht die gemachte Erfahrung über alle abweichenden Gegebenheiten, man kennt seine Pappenheimer ja.

Gedankengebäude zu haben ist gar nicht so schlimm. Sie ermöglichen es uns, schnell mit bekannten Situationen umzugehen. Will man denn jedes Mal den Trip zum Supermarkt, das nächste Mensch-ärgere-dich-nicht mit deinen Kindern, den zwölften Jahresurlaub an den gleichen Ort, den wöchentlichen Sex oder die immer wiederkehrende Diskussion mit dem Firmentrottel komplett durchdenken? Anstrengend. Vorgefertigte Sätze und Denkmuster, rasant abgespulte Wissensgrößen. Einfache, schnelle und elegante Lösungen. Kennst du, gell?

Kenn‘ ich. Aber kotzt mich an. Es ist der leichte Weg, der einfache. Spätestens seit Star Wars aber wissen wir, dass dies der Weg zur dunklen Seite der Macht ist. Hast du nicht gesehen? Solltest du aber, auch wenn Science-Fiction sonst nicht so deins ist. Jedenfalls wollte ich auf so ein Gedankengebäude eingehen, ein dunkles, mit abgeplatztem Putz, verschmierten Wänden und Pfützen schmutzigen Wassers in den verwaisten Gängen.

Tritt ein – lass‘ alle Hoffnungen fahren

Ich bin krank. Das ist an sich keine bahnbrechende Entdeckung, aber ich bin auch krank auf der Arbeit. Also, nicht auf der Arbeit, sondern zu Hause. Ich habe eine depressive Phase und den größten Teil des Tages sitze ich mit der Fresse des Jahrhunderts irgendwo und überrede mich selbst dazu nicht aufzugeben. Ich führe Krieg gegen mich selbst und die Krankheit, ständig am Rande der kompletten Verzweiflung und Selbstaufgabe. Als wäre das nicht schlimm genug, kämpfe ich ja inzwischen nicht nur für und mit mir selber. Nein, da sind zwei Kinder und eine unfassbar starke Frau, die in meinem Leben eine Rolle spielen. Für die und die Zukunft mit Ihnen kämpfe ich. Und ich kämpfe jede Sekunde, damit sie so wenig wie nur möglich von mir abbekommen. Ich bin notorisch schlecht gelaunt, reizbar, unfair und überaus empfindlich in solchen Phasen.

Keine Sorge, das ist nicht der Teil, mit dem ich dich langweilen will. Ich will dir im Grunde nur ein, zwei kleine Fragen stellen. Um einen Einblick in mein Gedankengebäude zu bekommen, in welches ich dann immer eintrete, ob ich will oder nicht, mein eigenes kleines Haus auf dem Haunted Hill.

Würdest du dir Vorwürfe machen, krank zu Hause zu sein, wenn du dir den Arm brichst, Durchfall hast, Darmkrebs bekommst oder irgendwas anderes körperliches? Ich weiß, dass ich kein schlechtes Gewissen hätte. Ich würde mir keine Vorwürfe machen, mir die Schuld geben oder so. Und warum auch? Wir werden so erzogen, dass wir verstehen, dass wir nun einmal nichts dafür können, dass wir krank werden. Es sei denn du hättest dir den Arm mit Vorsatz gebrochen, oder bist wider besseres Wissen mit nassen Sachen in den Wintersturm getapert.

Aber ich gebe mir die Schuld daran, wenn ich nicht mehr kann. Wenn es mir so dreckig geht, dass ich auf der Autobahn die Gedanken niederkämpfen muss das Lenkrad  loszulassen und die Augen zuzumachen. Wenn ich morgens das Gefühl habe, dass ich aus unerfindlichen Gründen losheulen könnte, sobald mein Gehirn aufwacht. Wenn ich die völlige Verzweiflung am Leben empfinde und einfach nur aufhören will zu existieren. Obwohl nichts davon Sinn macht, ich um nichts davon gebeten habe oder es nur herbeiwünsche. Ich gebe mir die Schuld.

Aus irgendeinem abartigen, völlig verdrehten Grund denke ich, dass ich Schuld daran habe und etwas moralisch Verwerfliches tue, wenn ich dann nicht dazu in der Lage bin, mich meinem täglichen Leben zu stellen. Wie herrlich sich das obendrauf stapelt. Mein Kampf ist nicht schwer genug, ich muss ihn mir noch schwerer machen.

Hast du dir schon einmal die Schuld an einer Grippe gegeben? Nein? Großer Spaß für die ganze Familie und ein super Grund, um sich beschissener zu fühlen, als du es schon tust.

Mit bitteren Grüßen,

Dein Hautloser

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