Wie sich Kinder mit der Depression vertragen

Oder sollte ich fragen, wie sich die Depression mit Kindern verträgt? Ein schwieriges Thema, das mir persönlich sehr nahe geht. Ich will versuchen, so schonungslos und ehrlich zu sein, wie ich kann, ohne zu viel über meine kleine Familie preiszugeben. Auch wenn ich hautlos sein will, so muss ich doch andere Menschen respektieren, selbst wenn diese nicht verstehen, was ich tue.

 

Erstkontakt

Generell lassen sich die allermeisten Kinder positiv auf mich ein. Das ist schon immer so und erfreut mich, weil ich Kinder mag. Die sehen vermutlich einen großen, bärigen, bärtigen Typ, der sich aber gar nicht so erwachsen benimmt, wie der Rest der Erwachsenen. Mit mir kann man sich unterhalten, spielen und Quatsch machen. Außerdem bin ich der Ansicht, dass man Kinder nicht einfach nur wie Kinder behandeln sollte, sondern ihnen das Gefühl geben muss, ernst genommen zu werden. Dieser Vertrauensvorschuss wird in der Regel zurückgezahlt und sorgt dann für schöne Erfahrungen.

So erinnere ich mich vermutlich mein Leben lang an die Begegnung mit der (ich glaube, sie war zwei, oder drei zu dem Zeitpunkt) Tochter eines befreundeten Paars, die mir gegenüber am Tisch saß. Sie schaute zu mir herüber und legte den Kopf schief. Ich habe das nachgemacht, etwas übertrieben, damit sie es gut erkennen konnte. Das Spielchen setzte sich dann minutenlang fort und führte zu vielen Lachern am Tisch. Aber seitdem hat dieses fremde Kind eine spezielle Bindung zu mir und ich zu ihr. Ich will das nicht überinterpretieren, aber ich glaube, dass ich im Schnitt besser als viele andere Fremde ankomme.

Was mir dabei hilft, ist, dass ich gelernt habe mein Gesicht zu kontrollieren. Wenn ich es nicht zulassen will, dann sieht mir absolut niemand an, wie ich mich fühle. Am ehesten interpretieren die Leute es als schlecht gelaunt, zu ernst oder sagen sowas wie „Lächle doch mal!“. Bei Kindern fällt es mir aber immer leichter, ein Lächeln hinzuzufügen, weil die nichts von mir erwarten. Keine Leistung, kein spezielles Verhalten, kein gar nichts. Kinder nehmen dich erst einmal so hin und schauen, was sie mit dir anfangen können. Erwachsene schaffen das höchst selten. Beständig gibt es Erwartungshaltungen oder Situationen, in denen diese zumindest impliziert sind. „Sich richtig verhalten“. Das ist bei Fremden und in Arbeitssituationen wesentlich schärfer ausgeprägt, als bei Freunden und Bekannten – aber auch dort ist es oft genug da. Mit diesem Druck kann ich eher schlecht umgehen, weshalb ich gerne in Gesellschaft von Kindern bin. (Die nichts Besonderes von mir erwarten.)

Alle Tage Alltag

Seit über einem Jahr habe ich zwei eigene Kinder. Nicht meine leiblichen, aber trotzdem meine Kinder. Auch bei diesen beiden wunderbaren Kindern fiel mir der Einstieg enorm leicht. Es war quasi wie Liebe auf den ersten Blick. Bei meiner Tochter wie ein Fingerschnippen, bei meinem Sohn mit einer „ruppigen“ Anlaufphase. An meiner Wortwahl sieht man, denke ich, dass ich mich als Vater fühle und die beiden als meine eigenen Kinder betrachte. Das sehen die Kinder genauso, falls sich jemand Sorgen macht. Ich profitiere außerdem davon, dass der Erzeuger alles andere als ein Vater ist, was die beiden im Alter von sechs und acht von selbst so mitbekommen. Das ist eher ein Prozess, als ein Knall-auf-Fall-Ereignis. Aber dank der mangelnden Fürsorge seit vielen Jahren konnte ich wesentlich besser anknüpfen. Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich mich zu Dank verpflichtet fühlen.

Ich liebe die beiden und versuche, wie jeder andere Elternteil sonst, nur das Beste für die beiden zu erreichen. Ich weiß, dass ich bei weitem nicht so viel tun müsste und versuchen sollte, aber es scheint mir richtig und es zeitigt ja Erfolge. Doch gehe ich dadurch mit einer gewissen Erwartungshaltung an die Sache heran, was meine Depression weidlich auszunutzen weiß. Es knirscht naturgemäß oft, denn auch wenn die beiden ihre Zuneigung unabhängig von meiner Nachfrage oder Aufforderung formulieren und zeigen, so bin ich doch „hinzugezogen“ und muss mich jeden Tag neu beweisen. Alle Stiefväter dürften das kennen – je vehementer man etwas einfordert, desto bockiger ist die Reaktion.

Dazu kommt, dass ich Vater sein bisher nicht kannte, also alles von Grund auf lernen muss – ohne die Einarbeitungsphase ab Geburt. So albern es daher klingen mag, wenn ich das sage, aber die Ablehnung, die mir hin und wieder entgegenweht, ist schwer zu ertragen. Ich weiß, dass es nicht direkt gegen mich gerichtet ist, ich weiß, dass es oft nur um Grenzen testen geht, aber es ist hart. Ablehnung ist ein generelles Gefühl, egal, aus welcher Richtung es kommt. Nur aus Quellen, die mir egal sind stört mich Ablehnung nicht – aber das trifft auf meine Kinder absolut nicht zu. Ich muss oft durchatmen, wenn ich die Kämpfe austrage, muss mich immer aktiv daran erinnern, dass ich nicht mehr 12 bin und von meinen Klassenkameraden gedemütigt werde. Ich muss die ganze Zeit über die Perspektive der Kinder im Hinterkopf behalten und versuchen, sie so fair wie nur möglich zu behandeln.

Insofern verträgt sich die Depression überhaupt nicht mit Kindern. Die Kämpfe, die Auseinandersetzung mit ihnen, selbst die ganzen schönen Momente voll Gelächter, Gesprächen und Gekuschel sind wahre Energieräuber. Öfter, als mir lieb ist, fühle ich mich dadurch überfordert, ermüdet und in ein dunkles Loch gestoßen. Meist gelingt mir der gedankliche Spagat, aber hin und wieder finde ich in den Kindern die Verantwortlichen. Das ist nicht fair und nicht richtig, aber so ehrlich muss ich sein. Eltern mit Depressionen, die Kinder groß gezogen haben, verdienen meinen größten Respekt. Man kann mit Kindern nicht die Notbremse ziehen und sagen: Stopp – heute nicht. Das gibt es nicht und wird es niemals geben. Dafür bin ich zu pflichtbewusst. Die Kinder können ja nichts dafür.

Auflösungserscheinungen

Ich habe lange auf die Idee von eigenen Kindern verzichtet, denn ich hatte immer Bedenken, dass ich diese Krankheit weitergebe. Ich bin heute nicht restlos davon überzeugt, dass Depressionen nicht ansteckend sind. Empfehle ich Depressiven die Sache mit den Kindern? Nein. Ja. Wie immer liegt die Wahrheit dazwischen. Die Kinder bereichern mein Leben, sie verschönern viele Momente, sie machen mich oft stolz, mein Leben lebenswerter. Was das betrifft, gibt es keinen Zweifel, dass die Kinder in mein Leben gehören und in das Leben aller anderen Depressiven und Nichtdepressiven, die Kinder lieben.

Rein aus der Sicht heraus, ob die Krankheit und die Kinder sich vertragen würde ich sagen: „Nein, besser nicht.“ Es hat mein Leben erschwert, macht den Umgang mit meinen wankelmütigen Emotionen schwerer und fügt eine weitere, schwere Last hinzu. Die Verantwortung für andere zu übernehmen. Der Preis, den ich zahle, ist höher als zuvor. Die Gefahr an der Überforderung zu ersticken ist ebenfalls höher. Nüchtern betrachtet war das keine gute Idee. Allerdings muss das jeder für sich selbst beantworten. Bis wohin kann ich gehen? Will ich das wirklich? Was ist richtig für mich? Denn die Bereicherung und die Erschwerung durch Kinder kann nicht miteinander aufgewogen werden. Wer das tut, wird beiden Seiten der Sache nicht gerecht. Es wäre naiv zu sagen: „Hey, Kinder bereichern dein Leben so, dass es die Depression und die Auswirkungen darauf mehr als aufwiegt. Kinder sind das Beste im Leben! Wie kann man bloß anderer Meinung sein?“ Genauso naiv und gefährlich wäre das Gegenteil. Mein Rat kann daher nur lauten: „Überdenke das Ganze genau. Was für ein Mensch bist du? Was hältst du aus, was bist du bereit, zu zahlen? Ultimativ kann es dein Leben sein.“

Randnotiz

Meine Tochter weiß von diesem Blog. Sie weiß, worüber ich schreibe und was mit mir los ist. Nur aus der Perspektive einer achtjährigen. Da wir unlängst den Film „Alles steht kopf“ geschaut haben, konnten wir ihr die Sache gut erklären. (Schaut ihn euch mit euren Kindern an!). Daraufhin war sie erst niedergeschlagen, weil sie es ungerecht fand, dass es mir so geht. Sie hat geweint und mich in den Arm genommen. Das war schon beeindruckend und bedrückend. Einige Tage später kam sie zu mir, als ich am Rechner saß und fragte, was ich tue. Als ich erläuterte, dass ich für den Blog schreibe, teilte sie mir unverwandt folgendes mit: „Also, falls du mal darüber reden willst, dann bin ich sowas von die falsche Person dafür. Ich würde dann nur wieder weinen.“ Dann streichelte sie mir den Arm.
Ob ich stolz auf diese Reaktion von ihr bin? Oh ja. Vielleicht verträgt sich die Depression nicht so gut mit den Kindern, aber die Kinder scheinen damit zu Recht zu kommen, wenn man ehrlich mit ihnen ist. Ich will meine Kinder nicht mehr missen.

 

Dein Hautloser

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