Wie fängt man sich so eine schnuckelige Depression ein?

Also das kann ich nicht allgemeingültig sagen. Es ist wahr, dass alle Depressiven sich in ihrem Erleben, aber auch in den Ursachen, der Schwere, Länge und Behandlungsfähigkeit unterscheiden. Das liegt vornehmlich daran, dass die Depression eine psychische Erkrankung ist, keine physische. Wenn Du ein Bein brichst, ist es dasselbe bei jedem anderen Menschen. Bein putt – autschn. Wenn Du Lungenkrebs hast, oder Malaria, so sind die Symptome weitläufig gleich und der Verlauf ebenfalls. Die Abweichungen sind wesentlich geringer als bei psychischen Krankheiten.

Die Depression aber greift auf deine Persönlichkeit zurück. Damit hat sie ein einzigartiges Arsenal, das sie je nach Subjekt hervorragend einzusetzen weiß. Je länger die Krankheit unerkannt wüten kann, desto schwerer wird, es einzelne Aspekte trennscharf von normalen Persönlichkeitsbestandteilen zu unterscheiden. Ich finde es beizeiten zum Beispiel schwierig, auseinanderzuhalten, was Teil meiner Persönlichkeit ist, und was die Krankheit ist. Da hilft es mir, dass ich seit dreißig Jahren die Selbstreflexion übe. Hilft aber nicht dabei, damit fertig zu werden oder sich klüger zu verhalten, falls sich hier jemand vorschnell gefreut hat.

Ja – aber wie genau kriegt man die jetzt? Was muss ich tun? Sag es mir!

Zuerst hilft eine ordentliche Grundlage in Sachen genetischer Disposition. Das bedeutet, dass es in den Genen bereits ordentlich verankert sein sollte. Zum Beispiel sind Elternteile, Großeltern, Geschwister derjenigen und so weiter gut, die schon unter Depressionen leiden mussten. Erhöht die Chance auf den Sechser der selbstzerstörerischen Geisteskrankheiten.

Wenn also deine Gene richtig schön parat liegen, kannst du dir irgendeine Form von Trauma einhandeln, das beschleunigt die Sache. Trauma muss hier nicht, wie landläufig gerne vorverurteilt wird, ein sexueller Missbrauch, ein Unfall oder etwas derart tragisches als Einzelerlebnis sein. Bei mir hat wunderbar funktioniert, dass ich in der Schule ab der ersten Klasse als Außenseiter behandelt und gemobbt wurde. Das geht bei so harmlosen Dingen wie „Dani plus Sahne“-Gesinge los, wandert über die grundsätzliche Ansprache mit dem Nachnamen statt dem Vornamen weiter zu banalen Handlungen wie als letzter in eine Mannschaft gewählt zu werden. Bevor meine eventuell mitlesenden Mitschüler von damals sich ungerecht behandelt fühlen, sei gesagt, dass da mehr war. Ein gutes Beispiel war die Lehrerin, die sich etwa in der siebten (oder achten?) Klasse mit der versammelten Mannschaft in der Turnhalle hingesetzt hat, weil sie mitbekommen hat, wie es mir damals ging (elendig). Sie teilte mit, dass es hier erst weitergehen würde, wenn mal jemand was dazu sagt, was mit dem Daniel hier so gemacht wird. Wichtig: Ich saß dabei und wurde von ihr vorher nicht eingeweiht. Mensch, wie die das alle bedauert haben und nicht wussten, und es ihnen nicht klar war, was sie da taten! Hielt den Nachmittag lang an. Ein wenig schmal für den Rest deines Lebens.

Keine Aufregung, genetische Disposition und mobbende Mitmenschen sind nicht alleine Schuld. Inadäquate intersoziale Fähigkeiten meinerseits und die Schwäche nicht zu wissen, wie ich mich ordentlich zur Wehr hätte setzen können, spielen die wesentliche Rolle dabei. Kopuliert euch selbst!

Schöne Kindheitserinnerungen habe ich natürlich auch. Zum Beispiel damals, als meine Mitschüler Geld sammelten, weil sie fanden, dass ich endlich mal einen richtigen Frisör besuchen sollte. Das war kein bisschen demütigend.

Und was fange ich dann damit an?

Wie man sieht, muss man gar nicht viel tun. Es reicht, herausgesucht zu werden. Das wäre mein persönlicher Rat an alle Kinder, die gerade in die Schule kommen. Nehmt euch zu Herzen, was andere tun. Habt eigene Interessen, auch wenn sie von denen aller anderen abweichen und als Spinnereien wahrgenommen werden. Eine Brille zu haben, nicht den neuesten Modetrend zu tragen und die Haare von Mama geschnitten zu bekommen sind weitere wertvolle Schritte auf dem Weg zum bleibenden Schaden.

Ich weiß, ich sollte Geld dafür nehmen, aber hier kommt ein ultrageheimer Tipp zum erfolgreichen Depressiven. Flieg unter dem Radar, mach dich unsichtbar, versuche nicht aufzufallen. Unterdrücke deine Wünsche und Träume und äußere sie BLOSS NICHT! Du kannst dich in deinem Zimmer verkriechen und nur noch mit deinen Geschwistern spielen, mit denen du dich ja aber naturgemäß eher zoffen willst. Und fahre bloß weiter mit den Menschen zusammen zur Schule, die dir die frühmorgendlichen Spottgesänge zudenken (Burn, Lange, burn!), damit du in deinem kindlich naiven Irrglauben verbleiben kannst, dass irgendwann alles besser wird und das doch noch deine Freunde werden. Am besten plapperst du denen dann nach dem Mund, weil sie dich dann irgendwann cool finden.

Du kannst gar nicht schnell genug gucken, da wünschst du dir mit zehn schon zum ersten Mal, du wärst einfach tot. Vielleicht weinst du sogar ein wenig dramatisch in der Vorstellung, dass zumindest deine Mama dich dann vermissen wird. Gut, wenn du da so konditioniert bist, dass du die Verzweiflung und die Schmerzen vor ihr verbirgst, so wie vor allen anderen Menschen, die du in den nächsten Jahrzehnten kennenlernst. Zeig eine Schwäche und die anderen schlagen zu. Die Krankheit lauert darauf und multipliziert sich praktischerweise mit deinen Sorgen. Mache einen Fehler und sie teilt dir mit, dass du dich besser umbringen solltest, weil niemals etwas besser wird.

Ich spreche da nur für mich selbst. Falls einer von euch mit dem Rezept erfolgreich ist, so will ich zumindest als Begünstigter eingetragen werden. Denkt dran euren Tod nicht offensichtlich als Selbstmord zu inszenieren. Bitte keine Abschiedsbriefe an mich.

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