Von den Untiefen des Internets der Depressiven

Ich bin ein Subjekt. Ich bin kein Objekt. Ich bin subjektiv, nicht objektiv. Wer sich einmal mit Erkenntnistheorien beschäftigt hat, wird nicht umhinkönnen dem zuzustimmen. Wer das nicht hat, der wird sicher logisch nachvollziehen können, dass alles, was wir erleben, von uns geben und für richtig halten, höchstens eine Seite der Dinge ist. Niemand von uns hat die absolute Wahrheit gepachtet, oder könnte unfehlbar feststellen, was für jemanden anderen die ultimative Wahrheit ist.

Deshalb ist es wichtig, kritisch zu bleiben und ständig zu hinterfragen, zu erforschen und nicht alles so hinzunehmen, wie es sich darstellt. Dieser Artikel handelt von meinem Leid, dass es da draußen eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen gibt, die einem genau das unglaublich schwer macht. Meine Güte, bin ich angenervt von manchen Mitmenschen und vor allem von manchen Mit-Depressiven. Oder sind sie es? Sind sie Depressive, oder reiten sie auf der Welle mit? Ich behalte mir meinen Zweifel, ob es diese gibt, die einfach nur auf dem Trittbrett mitfahren. Denn wenn es sie gibt, dann… Tja, keine Ahnung. Ich wäre extrem wütend und würde zu extremen Worten greifen, um meinem Unmut Raum zu geben. Lieber würde ich ruhig und sachlich davon berichten, was ich so annehme und was ich mir wünsche.

Was genau nervt dich denn jetzt so?

Eine Kategorie Depressiver im Internet sind die Jammerhähne. Meine Fresse, selbst ich als jemand, der Phasen absoluter Dunkelheit hat, in denen ich mich rotzelend fühle und grundlos heule, finde die zum Kotzen. Klar, jeder ist anders und jeder geht mit seinen Emotionen anders um. Nicht jeder hat die Kraft, oder die Sturheit, oder die Einstellung, dass lautes Wehklagen peinlich ist. Manchmal ist es ja auch gar nicht peinlich. Aber wenn ich den x-ten Beitrag lese, der außer Gejammer keinerlei Inhalt hat, am besten ohne Kontext einfach nur sagt: Mir geht es gerade so schlecht. Oder besser sowas wie: Habe ich das verdient? Sonst nix. Nur einen verdammten, kontextlosen Satz.

Wenn ich so etwas lese und es mir mit dem nackten Arsch ins Gesicht springt, dass der einzige Zweck dessen ist, dass jemand darauf mit der Nachfrage „Was ist denn?“ reagiert – dann will ich brechen. Nicht nur vermittelt dies den Eindruck, dass Depressive (die nicht-jammernden sind subjektiv unterrepräsentiert) andauernd sinnlos rumjammern und so gar kein Rückgrat haben. Es ist, Entschuldigung, dämlich.

Wenn ich Hilfe brauche, und ich habe Respekt vor jedem Depressiven, der mitteilt, dass er Hilfe braucht, dann sage ich das mitsamt den Informationen, die der andere braucht, um zu helfen. Du rufst ja nicht bei der Polizei an, sagst die Adresse und legst auf. Du sagst mindestens, was genau denn vorgefallen ist. Immerhin macht es einen Unterschied, ob du einen Einbrecher K.O. geschlagen hast, oder ob sich dreißig Hooligans und dreißig Rocker mit Messern abstechen.

Aber soll ich euch was sagen? Jammerhähne sind gar nicht sooo schlimm. Sie nerven mich persönlich, aber sie sind nicht übermäßig schädlich und wenn sie es denn brauchen, dann sollen sie halt jammern. Es gibt ganze Foren, die voll von dieser Sorte Menschen sind. Ich muss mich da ja nicht rumtreiben. Im offenen Teil des Netzes sind die meistens gar nicht unterwegs. Ich denke aus gutem Grund, denn mit solchen Aussagen wird man von normalen Internettrollen im Handumdrehen zerrissen. Nicht zu Unrecht. Was soll’s, es gibt sie, ich kann sie tolerieren, will ja auch nicht über die Gefühle anderer hinweg bügeln.

Wer ist denn nun so schlimm?

Die auf dem Rücken von Depressiven mitreitenden Nutznießer. Zecken. Blutsauger, Arschlöcher.

Es gibt eine ganze Reihe von Menschen, bei denen ich ernsthafte Zweifel an der Echtheit ihrer Depression habe. Das sind aufmerksamkeitsgeile Leute, die mit albernen Hashtags angeblich zu Respekt für die Depression aufrufen, aber nicht anderes tun, als mit ihren (vermeintlichen) Defekten zu kokettieren. Wenn Menschen, die sich selbst verletzen damit an die Öffentlichkeit gehen, dann ist das ein Akt, der nicht gut Hand in Hand damit geht, sich geschminkt mit Duckface vor die Kamera zu packen, oder, mit plakativ in die Kamera gehaltenen Pflastern, um Verständnis zu betteln. Menschen, die sich selbst verletzen, denen ist das peinlich. Sie verletzen sich in aller Regel so, dass man es eben nicht mitbekommt. Sie tun das nicht für die Öffentlichkeit, sondern für sich selbst, um sich wieder zu fühlen, oder um die Spannungen in ihren Herzen und in ihren Köpfen abzubauen.

Schon gar nicht setzt sich ein Depressiver hin und fordert ein, dass man ihn gefälligst ernst nehmen soll, weil er so unglaublich leidet. Dass andere sich mal ein Beispiel an seiner Stärke nehmen soll, weil er das alles durchsteht. Er klagt nicht, nur um dann mit traurigen Augen nach Verständnis zu fragen, versucht nicht heuchlerisch euer Mitleid und eure Bestätigung abzufragen. Ein Depressiver wäre peinlich berührt, so mit seiner Krankheit umzugehen. Sich selbst als so arm und schwach darzustellen, gleichzeitig aber selbstdarstellerisch zu Verlangen, dass man ihn ernst nimmt … Ein Depressiver hätte dafür gar nicht das Ego, nicht das Selbstvertrauen. Entweder hast du die Krankheit hinter dir, dann jammerst du aber nicht mehr rum und verlangst kein Mitleid mehr. Oder du steckst drinnen – dann aber forderst du nicht lauthals Respekt und Bestätigung, denn du würdest gar nicht wollen, dass jemand mitbekommt, wie schlecht es dir geht. Hier liegt vermutlich eine andere Störung zugrunde.

Ich selbst verletzte mich nicht, zumindest nicht körperlich. Trotzdem packt mich die Wut, wenn ich Leute sehe, die damit ihre Gier nach Öffentlichkeit befriedigen. Die klickgeil sind, die auf ihre 15 Minuten Ruhm drängen.

Man verstehe mich nicht falsch – ich weiß nicht, ob die Depressionen da echt sind, aber mir kommen Zweifel. Ich glaube, es sind berechtigte Zweifel. Sobald etwas nicht rund wirkt, gibt es vermutlich einen verdammt guten Grund dafür. Vertraut im Zweifel immer eher euren Zweifeln, als alles zu glauben, was man euch so überzeugt hinwirft. Wenn jemand seinen Blog über Depressionen mit Begriffen wie Lifestyle schmückt, dann darf man in Frage stellen, ob es sich hier um den „real Deal“ handelt. Ich sage nur: Bleibt kritisch.

Wer sich auf Kosten von Depressiven hinstellt und mit der Krankheit kokettiert, um bekannt zu werden, der ist in meinen Augen eben ein Arschloch. Ich wüsste nicht, wie man sonst darüber denken sollte. Es ist verflucht einfach sich als eingebildeter, oder gespielter depressiver gegen Anfeindungen zu wehren. Einfach den Gegenangriff einläuten. Verletzt fragen, ob man die Person in den Selbstmord treiben will, behaupten, dass man sich jetzt schlechter fühlt, die Tränendrüsenkarte zücken. Da zuckt jeder Kritiker zurück, der ein Gewissen hat, auch wenn er sich bewusst darüber sein müsste, dass auf der Gegenseite wenig bis gar kein Gewissen regiert. Wie sollen wir Depressiven da ernstgenommen werden, frage ich. Ich fühle mich ins Gesicht geschlagen. Ich kämpfe mit jedem Artikel gegen das Schweigen an, versuche aufzuzeigen, was eine Depression ist, was sie anrichtet und wieso wir mehr darüber reden müssen.

Außerdem sind da die ganzen Hilfeseiten, wo jemand angeblich Geheiltes sitzt und mit einer hochglanzpolierten Website inklusive E-Book per E-Mail darum wirbt bei ihm in persönliche Beratung zu gehen. Preis ist angemessen und fair. Immerhin ist das kein professionell gebildeter Mensch mit Universitätsabschluss, sondern ein ehemaliger Betroffener, der seinen Geheimweg voller geheimer Tipps und Tricks für nur 199,99 Euro verrät. Ja. In Ordnung. Da bin ich raus, sorry.

Klar, die Maxime in unserer Gesellschaft lautet – mache nichts umsonst, wofür du dich bezahlen lassen kannst. Aber wer sich an Kranken bereichert, wer die totale und absolute Verzweiflung von Menschen ausnutzt, die oft einfach gar nicht weiter wissen – der ist ein eiskalter Kapitalist.

Hier sei gesagt, dass ich mich vollkommen irren kann. Es liegt auf der Hand, dass jemand der individuell helfen will, bezahlt werden muss, weil er von etwas leben muss. Doch mir kommen Zweifel, wenn ich so hippe und durchgestylte Seiten zu sehen bekomme, die mich fatal an „Die 7 besten Tricks, um Frauen rumzukriegen“ oder „10 Wege aus der Armut in ein reiches Leben!“ erinnern. Trau, schau, wem.

Können wir uns darauf einigen, dass wir unser Gewissen nicht verkaufen müssen, um zusammen dieser Krankheit die Stirn zu bieten?

Können wir bitte darauf verzichten, darum zu wetteifern, wer der coolere Depressive ist?

Können wir bitte aufhören, Leute zu füttern, die bei genauer Betrachtung das Mitleid anderer ausnutzen, um sich selbst zu bevorteilen?

Können wir bitte einfach offen und ehrlich kommunizieren?

Wir können nicht verhindern, dass oben genannte Seiten und Menschen immer wieder auftauchen werden. Aber wir können verhindern, dass wir uns denen so blind in den Rachen werfen.
Wenn ihr euch über Depressionen informiert, dann lest genau. Schaut genau hin. Hinterfragt und analysiert. Denn nicht alles, was traurig dreinschaut, ist depressiv. Wenn ihr ein nagendes Gefühl der Unsicherheit, des Zweifels verspürt, dann ist es vermutlich nicht ohne Grund so. Selbst wenn jemand depressiv ist, heißt das lange nicht, dass er keine Skrupel hat euch auszunehmen. Denkt immer daran, dass Menschen genau so viele Gesichter haben, wie unsere Krankheit!

Euer Hautloser

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