Willkommen zum ersten Artikel seiner Art hier auf hautlos.de aus der Reihe „Daniel erklärt die Welt“. Das ist eine Kategorie, auf die mich ein ehemaliger Mitbewohner und einer meiner besten Freunde gebracht hat. Danke, Rhoddy, dass du leichtsinnigerweise mal erklärt hast, dass ich klug: „Daniel erklärt die Welt? I’d watch that!“(Zitat) bin.
Im Rahmen dieser Serie werde ich ab und an mal erklären, wie sich die Welt aus meiner persönlichen Sicht darstellt, oder vermutlich besser darstellen sollte. Das wird nicht immer bierernst passieren, aber im Großen und Ganzen bin ich ein eher nüchterner Mensch und werde schon meinen, was ich sage. Da ich so der Typ bin, der als einzig vertretbare Regierungsform eine Diktatur meiner Selbst empfindet, werde ich angemessen dogmatisch daherkommen und den einen oder anderen belustigen. Feuer frei!
Segen, oder wie denkst du hast du bisher überlebt?
Zuerst sei gesagt, dass Konventionen nicht ohne Grund existieren. Ohne diese Regeln, seien sie festgeschrieben, oder stillschweigend vorausgesetzt, hätte sich die Menschheit vermutlich schon vor längerer Zeit erledigt. Grundlegende Dinge wie Bitte und Danke sind nicht nur reine Formalia, sondern essentiell, um am Leben zu bleiben. Wer weiß, wie viele Soziopathen und anderweitig sozial unverträgliche Menschen nicht schon zum Hackbeil gegriffen hätten, wenn es diese Formel nicht gäbe. Ich tue was für dich und du sagst nicht mal danke? Da geht dem einen oder anderen schon mal das Messer in der Hose auf. Zu Recht. Wer etwas einsetzt, sollte etwas herausbekommen.
Aber auch so wundervolle Dinge, wie Menschen zuerst aus der Straßenbahn, dem Bus oder jeglicher anderer Türöffner herauszulassen, bevor man sich hinein quetscht, gehören dazu. Wie oft wollte ich einem derart sozial ungebildeten Vollpfosten meinen Schirm schon quer oral einführen und aufspannen? Oft. Wahlweise gerne eine harte, rechte Gerade. Links haue ich so schwächlich.
Wie man leicht sehen kann, sind soziale Normen durchaus sinnvoll, vor allem, wenn sie ein gewaltfreies Leben ermöglichen und sowohl uns als auch andere Menschen beschützen. Von technischen Konventionen will ich mal gar nicht anfangen, oder willst du bei jeder blöden Schraube probieren, ob sie links oder rechts herum aufgeht? Gut, zugegeben – es gibt Menschen, die das trotz der Normierung tun.
Eine meiner liebsten Konventionen ist eine, die es leider nicht zu geben scheint. Beleidige nicht meine Intelligenz. Durch die doch erkleckliche Masse an geistig unterbelichteten Zeitgenossen scheint es so zu sein, dass sich die Mehrheit der Erdenbürger an eben jener orientiert, wenn es um die Einschätzung des Gegenübers geht. Wie oft habe ich schon die Fäuste geballt, weil ich das Gefühl hatte, mir steht jemand gegenüber, der mit unendlicher Langsamkeit und Ich-erkläre-dir-Baby-nun-die- Welt-Stimme versucht hat mir vermeintlich schwierige Sachzusammenhänge, oder gar auf der Hand liegende Informationen zu vermitteln. Mir wird immer versichert, dass ich kaum ein Maßstab sein kann – aber wenn man doch merkt, dass der andere keine Nassbirne ist. Bitte – ich behandele auch keinen, als ob er eine Zangengeburt war und der Schädel zu doll gedrückt wurde. Zuerst muss man sich bei mir blöde anstellen, danach darf man mir dann gerne Vorurteile und herablassende Umgangsformen unterstellen.
Fluch – denn Konvention ist oft Tradition
Wobei wir dann bei dem Fluch wären. Sobald eine Konvention dazu führt, dass sie meine persönliche Freiheit einschränkt, nehme ich sie kritisch unter die Lupe. Meist finde ich dann heraus, dass es sich in Wahrheit gar nicht mehr um eine Konvention handelt, sondern um eine Tradition. Konventionen verwandeln sich im Laufe der Zeit gerne einmal in Traditionen, klammheimlich und unbemerkt. Oft so unbemerkt, dass Verfechter der Tradition der festen Überzeugung sind, dass es sich um eine Konvention handelt, der man unbedingt Folge leisten muss, per Kadavergehorsam. Das ist ein Trugschluss, den ich gleich auflösen werde.
Als Beispiel sei mal die Beerdigung genannt. Hier gibt es die Konvention, dass man zu einer Beerdigung in Schwarz kommt, nicht in kreischend bunt. Diese Konvention gilt für unsere westliche Welt, versteht sich – in anderen Ländern stehen andere Farben für z.B. den Tod, oder Trauer. Hier ist es eben schwarz. Schaut man im allwissenden Internet nach, oder fragt harmlos Leute aus der näheren Umgebung, so wird man vermutlich ein paar Sachen immer wiederfinden: Die Kleidung soll Wertschätzung und Respekt ausdrücken. Keine nackte Haut, Arme und Beine müssen bedeckt sein. Kein auffälliger Schmuck. Niemand repräsentiert sich auf einer Beerdigung selbst. Nicht? Na, das will ich mal gegenargumentieren!
Zuerst gilt es einige Dinge zu bedenken. Die Hinterbliebenen trauern. Du vermutlich aber auch, sonst würdest du eher nicht zu einer Bestattung gehen, korrekt? Es sollte eine Balance zwischen den Gefühlen anderer und deinem eigenen Gefühl hergestellt werden. Konventionen zu brechen ist zwar eine Art Hobby von mir, aber ich möchte ja niemanden absichtlich verletzen.
Wenn ich aus meinen eigenen Motiven zu einer Bestattung gehe, dann repräsentiere ich mein persönliches Interesse daran. Klar ist das ein Ritual, was den Prozess der Trauer vereinfachen soll – aber an so einem Ritual ist eben jeder beteiligt. Wenn der Verstorbene nicht selbst eine Kleiderordnung festgelegt hat (wer auf meiner Beerdigung in Schwarz kommt, spuckt mir quasi posthum ins Gesicht, es sei denn er will das für sich selbst), dann macht man nach der Konvention alles richtig, wenn man in Schwarz kommt. Ich sehe das eben anders. Ich möchte doch dem Verstorbenen meinen Respekt ausdrücken, meine Wertschätzung, die ich ihm als Lebenden entgegengebracht habe. Das bedeutet in meinem Buch, dass ich mich nicht verkleide, dass ich so komme, wie ich ihm im Leben gegenüber getreten bin. Ist der Verstorbene ein guter Freund, mit dem ich jede Menge Spaß hatte? Dann würde er selber heulen, wenn er mich im schwarzen Anzug am Grab stehen sehen würde. Klar, ich habe keinen Humpen Bier dabei und proste allen zu – aber ich reihe mich nicht in eine anonyme Kette von Schwarzgekleideten ein.
Ich komme dann lieber normal, halte aber dafür eine liebenswerte Rede, in denen ich allen ins Gedächtnis rufe, was für ein großartiger Mensch da von uns gegangen ist. Oder ich rede mir ein flammendes Fanal lustiger Anekdoten von der Seele und bringe meine Untröstlichkeit damit zum Ausdruck. DAS ist Respekt, DAS bedeutet dem Toten Ehre zu erweisen – aber doch bitte nicht 0815 schwarze Klamotten. Sind wir hier denn bei den Goths? Müssen wir zum Lachen in den Keller? Sicher ist das ein polarisierendes Thema, gerade weil hier individuelle Empfindlichkeiten angesprochen werden – aber unkonventionell zu sein, bedeutet eben sich individuell auszudrücken. Und wenn eine Gemeinschaft, selbst eine zusammengewürfelte Bestattungsgemeinschaft, dass nicht aushalten kann, ist sie meiner Gegenwart nicht würdig. Uniformität haben wir im Arbeitsalltag, in Regimen und anderweitig unterdrückenden Szenarien im Leben schon genug. Weg damit aus den Gedanken, denn der Tote erfreut sich sicher nicht an der Trauer. In diesem Sinne meinte ich das auch mit dem Kadavergehorsam – ich erreiche mit der Einhaltung der Konvention das Gegenteil von dem, was ich ausdrücken will. Blöd.
Anker raus, 180 Grad-Wende! Ich entere nun Hochzeiten. Auch hier gibt es diese dämliche Kleiderordnung, die ich so verabscheue. So unglaublich viele Menschen erwarten, dass man sich in einen Anzug wirft, Frauen in ein schönes Kleid. Herrje! Eine Hochzeit ist die Feier einer hoffentlich lebenslangen Liebe, einer Gemeinschaft, die auf Kompromissen, bedingungsloser Liebe und bitte individuellen Vorlieben basiert. Warum müssen das so viele Leute in Formalia pressen? Ich will bei einer Hochzeit doch als Freund, als Mitliebender, als Mensch dabei sein. Daher gehe ich persönlich nur in normaler Kleidung zu Hochzeiten (nicht in zerrissenen Jeans und dreckigem Pullover). Glaubst du mir nicht? Habe ich aber schon gemacht, sogar zu einer kirchlichen Hochzeit. Natürlich habe ich das mit dem Paar vorher besprochen und mir den Segen dafür eingeholt, denn ich will ja keine Gefühle verletzen. Ich stelle aber mal in Frage, ob alle Menschen diese Konvention gut finden. Immerhin bedeutet das meistens eine zusätzliche Investition für alle Beteiligten, von der die Modebranche am meisten hat. Zum Glück finden immer mehr Hochzeiten alternativ statt, more power to you!
Als Schlusssatz sei mir genehmigt zu sagen, dass ich selber nicht religiös bin, und zwar achte, wenn andere das sind, mir aber nicht diktieren lasse mich nach ihrem Glauben zu orientieren. Nur, falls jemand mit dem Argument kontern möchte. Auch hier sind Konventionen längst Traditionen und in diesem Sinne vermutlich eher angestaubt, als sinnvoll.
Wie ist da bei dir? Wie stehst du zu Konventionen und welche fallen dir ein, die sinnvoll, oder sinnlos sind? Auf eine kontroverse Diskussion, wenn du dich traust!
Dein Hautloser
2 Antworten zu Daniel erklärt die Welt: Konventionen – Fluch oder Segen?